Perspektivlos oder krisensicher? Chancen eines Schiffbaustudiums in Deutschland

Der Bachelor-Studiengang „Schiffbau“ erfreut sich in Deutschland keiner großen Beliebtheit. Das hat viele Gründe.

Der Legende nach machte Archimedes von Syrakus (lebte um 250 v. Chr.) beim Baden eine bis heute entscheidende Entdeckung: Aus dem randvollen Wasserbehälter sei beim Hineinsteigen jene Menge H2O ausgelaufen, die er mit seinem Körpervolumen verdrängte. Der Grieche stellte daraufhin folgendes Prinzip auf: Wenn das Volumen multipliziert mit der Dichte eines Körpers kleiner ist als das Gewicht des durch ihn verdrängten Wassers, schwimmt dieser Körper. Die Formel „Deplacement = Rho mal Verdrängung“ findet sich auch heute noch in jeder schiffbaulichen Rechnung wieder.

Allerdings ist das für die Dichte entscheidende Material nicht mehr Holz, sondern mit Kohlenstoff angereichertes Eisen. Schiffbaustahl – in der Regel acht Millimeter dick – trennt, vereinfacht gesagt, seit seiner Entstehung Luft und Wasser. In den vergangenen Jahren spaltet das dünne Metall zusätzlich die Meinungen vieler Berufseinstei ger.

Die maritime Industrie liege hierzulande auf dem Trockenen, sagen die einen. Totgesagte leben länger, meinen die anderen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Einerseits herrscht in Deutschland sowie in Italien zurzeit ein Kreuzfahrtboom – auf der anderen Seite erlebt die Schifffahrt bereits das achte Krisenjahr. Auch die oft zitierte mangelnde Konkurrenzfähigkeit gegenüber asiatischen Standorten fällt hier ins Gewicht. Dabei erhielten hiesige Schiffbauer zuletzt mehr Aufträge als die Konkurrenz aus Fernost (THB 24. Mai 2016).

Fakt ist jedoch, dass die Nachfrage für den Studiengang Schiffbau in der Bundesrepublik insgesamt verschwindend gering ist. In einer Generation, wo „irgendwas mit Medien“ oder „Hauptsache BWL“ gefragt sind, findet eine jahrhundertealte Industrie-Branche wenig Anklang. Warum ist das so? Einerseits spielt sicherlich die negative Berichterstattung über die Umweltverschmutzung durch Schiffe eine zentrale Rolle – schließlich liegt „grünes“ und nachhaltiges Denken immer mehr im Trend. Auf der anderen Seite wird der Studiengang auch extrem unattraktiv verkauft. Viel Mathematik, wenig Praxisnähe und eine unsichere Perspektive schrecken die meisten Nachwuchsakademiker frühzeitig ab.

Dazu kommt: Wer kann nach dem Schulabschluss schon mit Gewissheit sagen, was man beruflich machen möchte? Nahezu alle angehenden Studenten haben realitätsferne oder auch romantisierende Vorstellungen von einer Hochschulausbildung. Vieles davon beruht auf Erzählungen anderer, eigenen Erfahrungen durch kurzzeitige Praktika, dem Einfluss von Freunden sowie Familie und nicht zuletzt der Art, wie die Uni ein Modul vermarktet. Allein dieser letzte, entscheidende Aspekt verhindert in vielen Fällen Anmeldungen der Jung-Erwachsenen für das maritime Ingenieursstudium. Unattraktiv wirkt dabei bereits der Name: Schiffbau. Die Verbindung zweier rustikaler Begriffe (Bau und Schiff) klingt bei weitem nicht so trendig, international und modern wie beispielsweise „Business of Culture and Language“ oder „Medien- und Kommunikationspsychologie“. „Schiffbau“ wirkt trocken, alt und für unsere Gesellschaft unbedeutend. Der Coolnessfaktor ist vergleichbar mit „Volkskunde“. Mehr Vorgestern geht kaum. Medienberichten zufolge war letztgenannter Studiengang an der Uni Regensburg vor etwas mehr als zehn Jahren dementsprechend einer der unbeliebtesten. Das Etikett, mit dem der ohne Zweifel interessante Inhalt verpackt wurde, passte einfach nicht. Durch die Einführung des Bachelor-Systems änderte sich der Titel in „Vergleichende Kulturwissenschaften“. Daraufhin fand ein regelrechter Ansturm auf das bisher so unbeliebte Fach statt. Die Uni sah sich sogar gezwungen, einen Numerus Clausus von 1,3 zu erlassen. Es gab schlichtweg zu viele Bewerbungen. Auch beim Schiffbau wäre eine positive Entwicklung durch eine zeitgemäße Vermarktung denkbar. Hinzu kommt, dass der aktuelle Name bei Laien der maritimen Branche für Verwirrungen und falsche Assoziationen sorgen kann. Dabei gilt: Der studierte Ingenieur baut in der Regel die Schiffe nicht. Er entwirft sie. Konstruiert sie. Plant sie.

Bei aller Kritik hat Schiffbau dennoch auch diverse trendige, attraktive und zeitgemäße Aspekte. Da wäre zum Beispiel die Entwicklung der emissionsarmen Antriebe. Die maritime Industrie spielt eine Vorreiterrolle bei Flüssigerdgasantrieben oder Hybrid- beziehungsweise Elek tromotoren. Auf dem Wasser wird die Zukunft gestaltet, die sich später auch auf der Straße oder Schiene durchsetzen kann und wird. In der Schifffahrt liegt außerdem das Hauptaugenmerk immer stärker auf Umweltfreundlichkeit und Effizienz. Diese Aspekte avancieren inzwischen zu tragenden Säulen der Branche. Nach jahrzehntelangem Rückstand befindet sich die Schifffahrt in diesem Bereich nun endlich am Puls der Zeit. Des Weiteren bietet sie Absolventen ein breites und vielfältiges Tätigkeitsfeld. Die Gestaltung von neuen Vorschriften, Grenzwerten, Technologien oder Systemen sollte eigentlich für viele Grund genug sein, sich für das so trocken klingende Studium zu entscheiden. Zumal es bei der Wahl der beruflichen Zukunft heutzutage anscheinend für große Teile eine zentrale Rolle spielt, die Welt mit der eigenen Arbeit ein Stück besser zu machen.

Darüber hinaus werden Schiffe nach jetzigem Wissensstand kaum jemals zu ersetzen sei. Kein Transportmittel an Land oder in der Luft kann ansatzweise so viele Güter befördern wie ein Mega-Containerfrachter. Die Schifffahrt ist also einer der entscheidenden Faktoren für einen global funktionierenden Handel und damit auch für die Wirtschaft. Dieser Aspekt öffnet Absolventen des Studiums gleichzeitig Hunderte Türen. Als Schiffbauer muss man nicht zwangsläufig auf einer Werft arbeiten. Man muss auch nicht mit Warnweste und Helm über schmierige Stahltreppen in heiße und stickige Maschinenräume hinabsteigen. Ebenso wenig ist man dazu verdammt, das Heulen und Kreischen von Flex und Drehmaschinen rund um die Uhr zu ertragen. Man kann auch – wie ich zurzeit – in einer Redaktion landen. Es gibt zahlreiche Vereine und Verbände, die sich für die Branche einsetzen, womit man sogar auf politischer Ebene agieren kann. Auch an Gesetzen und Vorschriften im maritimen Sektor können Schiffbauer mitarbeiten. Selbst die kreative Seite kann gefordert werden. Neue, fast schon an Science-Fiction kratzende Ideen, warten darauf, von Schiffbauern vorangetrieben zu werden. Schwimmende Städte, segelnde Luxus-Liner oder gläserne Unterwasserhäuser sind nur ein paar Beispiele.

Wer sich für ein solches Studium entscheidet, sollte dennoch nicht gleich romantisch vom Bau einer neuen „Titanic“ träumen. Praxisnähe oder das fachspezifische Wissen über einzelne Bereiche des Schiffbaus bleiben während der sechs Semester weitestgehend Randerscheinungen. Der Alltag heißt Mathe, Statik und Werkstofftechnik. Auf diesen Gebieten wird tatsächlich eine weitreichende Erfahrung gewonnen. An der Hochschule geht es weniger darum, ein Schiff zu designen oder neu zu erfinden, sondern die Kräfte, die auf und in einer Einheit wirken, auszurechnen. Man lernt, welche Materialien wie viel Belastung aushalten. Wie dick ein Bauteil sein muss, damit es die Sicherheitsbestimmungen erfüllt. Grundsätzlich aber bleibt das Know-how – wie wahrscheinlich bei fast allen Studiengängen – sehr überschaubar. Wer erwartet, dass man mit der Bachelor-Urkunde in der Hand und einer viereckigen Mütze auf dem Kopf gleich in den großen Konzernen die Entscheidung trifft, der irrt. Dennoch kann mit überschaubarem Aufwand ein Abschluss erlangt werden, der einem überhaupt erst den Eintritt in manche Berufszweige ermöglicht. Man kann ihn schlicht als Türöffner in eine Branche verstehen, die interessant, relevant und stets in Veränderung begriffen ist. Statt auf einen der völlig überfüllten Züge aufzuspringen, empfiehlt sich der unterbesetzte Schiffbau, wo Personalleiter händeringend auf der Suche nach qualifizierten Fachkräften sind. Wie Heino Bade von der Gewerkschaft IG Metall Küste bestätigte, fehlen ausgebildete Ingenieure gerade in der Kreuzfahrtsparte. Deshalb würden Werften bereits immer mehr Facharbeiter ausbilden, um dieser Problematik entgegenzuwirken. Außerdem hat sich Deutschland längst als anerkannter Standort für den Spezialschiffbau etabliert. In Zeiten, in denen weniger Handelsschiffe bestellt werden, erweisen sich diese aus der Not geborenen „Nischen“ als Erfolgsrezept. Bei vielen norddeutschen Werften gab es zuletzt wieder einen positiven Auftragstrend.

Fazit: Statt in unsicheren Gewässer zu segeln, sollte lieber in Häfen festgemacht werden, die seit Jahrhunderten Bestand haben.

* Fritz Lüders studiert Schiffbau in Kiel und schreibt derzeit seine Bachelor-Arbeit. Als Praktikant verbrachte er zwei Monate beim THB

Programm:

An der FH Kiel, der TU Hamburg-Harburg und der Hochschule Bremen kann Schiffbau studiert werden. Die TU Berlin sowie die Uni Rostock bieten alternativ Schiffs- und Meerestechnik an. In Wismar lehrt die Hochschule Marine Engineering, in Flensburg gibt es Schiffsmaschinenbau und -betriebs technik.

Planen:

An der FH Kiel lag die Zulassungsgrenze zeitweise bei einem Notenschnitt von 2,4; zuletzt war der Zugang allerdings NC-frei. In Hamburg gibt es offiziell keinen NC. Kriterien sind Wartezeit, Leistung sowie Staatsangehörigkeit. In Bremen richtet sich die Zulassung zu 80 Prozent nach dem Notendurchschnitt und zu 20 Prozent nach der Wartezeit. Zusätzlich verlangen einige Hochschulen den Nachweis von Praktika, die jedoch bis zu einer spezifischen Deadline nachgereicht werden können.

Personen:

An der TU Hamburg-Harburg studieren semes ter übergreifend 270 bis 280 angehende Schiffbauer im Bachelor. In Bremerhaven sind es derzeit 198, gefolgt von Kiel mit 152.

Perspektive:

Die Fachhochschule der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt bietet nach einem Bachelor (Notendurchschnitt: 2,5) ein weiterführendes Masterstudium an. In Bremen sowie an der TUHH steht der Master Schiffbau und Meerestechnik auf dem Programm.

Preis:

Studiengebühren sind in Hamburg, Kiel und Bremen abgeschafft. Für den Semesterbeitrag wird dennoch zur Kasse gebeten. In Kiel liegt dieser aktuell bei 115 Euro. TUHH: 309,90 Euro; Bremen: 295,92 Euro.

Schiffbau-Studium – infos auf einen Blick

Teilen
Drucken

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben