Sankt-Petersburg-Praktikum als Horizonterweiterung

Wichtige Drehscheibe für den seewärtigen russischen Außenhandel: Hafen St. Petersburg, Foto: FCT

Hier gibt es viel zu erleben: St. Petersburg, die zweitgrößte Stadt Russlands, Foto: Höck

Swetlana Pomjalowa, Foto: Arndt
Wer als junger Mensch am Anfang seines Berufsweges steht, für den sind nicht zuletzt Auslandserfahrungen von unschätzbarem Wert, frei nach einem Song-Klassiker von Udo Lindenberg: „Hinterm Horizont geht’s weiter.“
Eine besonders vielversprechende Möglichkeit, im Rahmen seiner Ausbildung Einblicke in die Arbeitswelt in Russland zu bekommen, bietet seit 2011 die Einrichtung „Arbeit und Leben Hamburg“ mit ihrem St.-Petersburg-Praktikum. Auch in diesem Jahr gibt es wieder zwei Praktika-Zeiträume: Der erste reicht vom 8. bis zum 28. Mai, der zweite wird im Herbst über die Bühne gehen. Bewerbungsschluss für den ersten Part ist der 15. März.
Das Weiterbildungsangebot richtet sich grundsätzlich an Auszubildende der unterschiedlichsten, im dualen System angebotenen Berufsbilder, und zwar natürlich aus Hamburg, aber auch aus der Metropolregion.
In der Schifffahrtsbranche hat sich das an den Berufsschulen aktiv beworbene Weiterbildungsangebot herumgesprochen. „Allein 2015 hatten wir 13 junge Schifffahrtskaufleute, die für drei Wochen in Hamburgs Partnerstadt St. Petersburg reisten“, berichtet Swetlana Pomjalowa, Bildungsreferentin bei „Arbeit und Leben Hamburg“, dem THB. Und das bei „nur“ 60 Plätzen für die aktuelle Förderperiode 2014 bis 2016.
„Arbeit und Leben Hamburg“ steht für eine gemeinnützige Bildungseinrichtung, deren Träger der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Hamburg und die Volkshochschule (VHS) Hamburg sind.
Swetlana Pomjalowa arbeitet seit 2014 für diese Plattform. Sie ist mit dem deutschen und russischen Sprach- und Kulturkreis umfassend vertraut. Denn ein Teil ihrer Biographie spielte sich in der ehemaligen Sowjetunion ab, konkret in der Teilrepublik Tadschikistan, die seit 1991 ein eigenständiger Staat ist. In dem Jahr reiste ihre deutschstämmige Familie auch nach Deutschland aus. Russisch ist damit für Pomjalowa die zweite Muttersprache, was für ihre St.-Petersburg-Arbeit von besonderem Wert ist.
Das Auslandspraktikum wird aktiv gefördert, und zwar durch den Europäischen Sozialfonds (ESF), das Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) sowie die Hamburger Fachbehörden für Wirtschaft (BWVI), Arbeit und Soziales (BASFI) und Schule (BSB) sowie die Senatskanzlei Hamburg. Ein anderer wichtiger Partner ist die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch.
Diese auf vielen Säulen ruhende Trägerschaft bewirkt auch, dass die Kosten für das Praktikum für den einzelnen Azubi angesichts dessen, was alles geboten wird, sehr moderat ausfallen. Aktuell sind es 227 Euro. Damit werden sowohl die An- und Abreise als auch die Unterbringung in Gastfamilien oder Hostels, Sprachkurse und vieles mehr abgedeckt. Für den Praktikanten bleibt als Eigenanteil darüber hinaus ein individuell zu bemessendes Taschengeld. Angesichts des extrem schwachen Rubels hält Pomjalowa einen Betrag zwischen 300 und 400 Euro für ausreichend.
Wer sich zu dem Praktikum entschließt, muss einige überschaubare Bedingungen erfüllen. Wobei das Mindestalter von 18 Jahren ebenso dazu gehört wie die Zugehörigkeit zum 2. oder 3. Lehrjahr und die Freistellungsbereitschaft des Ausbildungsunternehmens und der Berufsschule. Hinweis: Gerade die Staatliche Handelsschule Berliner Tor (HBT) fördert sehr nachdrücklich dieses Angebot. Ebenfalls nicht ganz unwichtig: ein gültiger Reisepass, denn Russland verlangt inzwischen wieder ein gültiges Einreisevisum. Fremdsprachenkenntnisse sind wichtig, wobei das Englische im Schifffahrtsberuf sowieso branchenüblicher Mindeststandard ist.
Russischkenntnisse sind natürlich grundsätzlich sehr hilfreich, aber kein Muss. Im Rahmen der ersten Woche des insgesamt dreiwöchigen Praktikums werden wichtige Redewendungen vermittelt, wobei schon das Wörtchen „Spasibo“ für „Danke“ viel russisches Sprach-Eis brechen kann. Pomjalowa: „Wichtig ist auch, dass der Bewerber in seinem Anschreiben klar zum Ausdruck bringt, dass er neugierig darauf ist, fremde Menschen und Kulturen und eine andere Arbeitswelt kennenzulernen. Und er muss überzeugend darstellen, dass er sich nicht scheut, auch mal drei Wochen am Stück auf bislang unvertrautem Terrain zu wirken.“
Dabei ist die Bildungsreferentin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Perspektivwechsel nach St. Petersburg für den jungen Menschen von bleibender Erinnerung sein wird. Denn die russische Arbeitswelt unterscheidet sich schon spürbar von der deutschen. Doch genau das sei der große Reiz – und auch der Mehrwert, meint Pomjalowa. Und schließlich die Menschen. Gerade die Gastfamilien seien sehr aufgeschlossen und freuten sich auf ihren Besuch aus Deutschland.
Um die Praktika-Plätze in St. Petersburg kümmern sich die Azubis entweder selbst, wobei in der Schifffahrt vor allem Partnerfirmen oder auch eigene Niederlassungen zur Verfügung stehen, oder „Arbeit und Leben“ unterstützt über seine St. Petersburger Partner-Einrichtung den Azubi. Diese Hilfe schließt dann auch die wichtige Unterbringung mit ein. Die Berufspraktikanten wohnen dabei relativ zentral in der Millionenstadt St. Petersburg.
Allen Beteiligten liegt an einem erfolgreichen Praktikum, weshalb in die Vor-, aber im Anschluss an das Praktikum auch in die Nachbereitung in Deutschland viel Zeit fließt.
Sind die Praktikumsplätze an die geeigneten Vertreter vergeben, erfolgt zunächst ein ausführliches Vorbereitungsseminar in Hamburg. Auch in der russischen Ostsee-Metropole wird in der ersten Woche behutsam in die neue Lebens- und Arbeitswelt eingeführt. Sprache, Kultur, Mentalität, Ortskunde sind einige der vielen Aspekte, auf die durch erfahrene Mitarbeiter eingegangen wird. Die Wochen zwei und drei stehen dann ganz im Zeichen der Arbeit in den Firmen. Zurück in Deutschland, kommen dann alle Teilnehmer nochmals zu einem ausführlichen Erfahrungsaustausch zusammen.
Freda Sophie Höck, Pricing Assistant bei der Reederei Samskip in Hamburg, absolvierte ein solches St.-Petersburg-PraktikumAnfang 2015. Die gelernte Schifffahrtskauffrau gerät über diese Zeit noch heute ins Schwärmen: „Das war für mich einer voller Erfolg und ein unvergessliches Erlebnis.“
In ihrem Fall war es ihr eigener Ausbildungsbetrieb, der sie mit der Frage überraschte und begeisterte: „Hätten Sie mal Lust, sich in St. Petersburg umzusehen?“. Für Höck gab es da nicht viel zu überlegen. Das Ja ging ihr schnell über die Lippen. Sie erinnert sich: „In einer Gruppe von acht jungen Azubis ging es nach St. Petersburg. In der ersten Woche stand erst einmal Kultur auf dem Programm, ergänzt um einen Sprachkurs, Stadtführungen sowie Treffen mit Einheimischen, die sich für Deutschland interessieren und Deutsch lernen.“
Dieser interkulturelle Austausch zählt für die 22-jährige Schifffahrtskauffrau zu den Elementarerfahrungen. Denn Unterschiede zwischen beiden Ländern und Völkern gebe es in „in vielerlei Hinsicht“. Die beiden Folgewochen arbeitete Höck im Samskip-Hauptbüro für die Russische Föderation in St. Petersburg. Auch hier konnte sie „viele Erfahrungen sammeln“. Vor allem „das Kennenlernen der russischen Kollegen und deren Arbeitsweise hilft mir auch heute noch weiter. Denn ich weiß nun, wie die Menschen dort denken und arbeiten“.
Höck erlebte in ihrem Praktikumsbetrieb eine große Aufgeschlossenheit und Offenheit. Sie „durfte in alle Frachtabteilungen hineinschnuppern“. Neben den kulturellen, sprachlichen und fachlichen Erfahrungen bewirkte das Praktikum bei ihr aber auch das: „Meine Selbstständigkeit wurde stark gefördert, denn auch wenn ich in einer Gruppe unterwegs war, war ich doch des Öfteren auf mich alleine gestellt.“ Zu den anderen Teilnehmern ihrer Runde, von denen immerhin vier aus der Schifffahrtsbranche kamen, hat sie noch heute Kontakt. Höck: „Ich weiß von allen: Keiner hat das St.-Petersburg-Praktikum bereut. Im Gegenteil: Alle waren begeistert und würden es gerne noch einmal wiederholen.“ Ihr ganz persönliches Fazit lautet: „Nur zu empfehlen. Es gibt so viel zu erleben und zu entdecken, und St. Petersburg ist nebenbei auch eine großartige Stadt. Mit der Teilnahme kann man nur gewinnen!“
Einen großen Wert in diesem Angebot erkennt auch Sabine Hahn, Lehrerin an der HBT und zugleich Beauftragte für Auslandsprojekte: „Von der Möglichkeit, die russische Kultur und Lebensweise kennenzulernen, profitieren nicht nur die Azubis, sondern auch deren Ausbildungsbetriebe.“ Denn die Azubis könnten bereits während der Ausbildung wichtige internationale Arbeitserfahrungen sammeln können. Ein besonderer Mehrwert liege zudem dann vor, „wenn die Azubis das Praktikum in eigenen Agenturen oder Partnerunternehmen absolvieren können“. EHA