Starkes Ankerglied der deutschen Schifffahrt

Fotos: Arndt, Grafik: VDR

Kruse

Nagel

Schües
Es ist ein emotionaler Moment für jeden Kapitän: „Hol nieder Gibraltar-Flagge, heiß deutsche Flagge!“
So geschehen am 30. Mai 2016 im Rahmen eines kleinen Festaktes in der Zentrale des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg (THB 31. Mai 2016).
Auch das ist bezeichnend für den globalen Schifffahrtsmarkt des Jahres 2016. Der Frachter, um den es bei diesem Flaggenwechsel geht, liegt nicht etwa in einem deutschen Hafen, sondern hält sich zum Zeitpunkt der Zeremonie mehrere tausend Kilometer von Deutschland entfernt im chinesischen Zhoushan auf. Der 2012 auch im Reich der Mitte gebaute Fahrzeugtransporter „Patara“ (IMO 9491898) der Reederei F. Laeisz fährt seit diesem denkwürdigen Mai-Morgen wieder unter Schwarz-Rot-Gold über die Weltmeere.
Für Reederei-Chef Nikolaus F. Schües soll es dabei für sein Unternehmen nicht bleiben. Im Laufe der kommenden Wochen will die Traditionsreederei noch drei weitere baugleiche Schiffe folgen lassen. Schües sieht daran den Beitrag seines Unternehmens dafür, „dass die Politik geliefert hat“. Für den Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse besteht dieses Lieferpaket aus zwei wesentlichen Elementen: dem 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt für die Seeleute an Bord von deutschen Schiffen, gewissermaßen eine Ur-Forderung der im scharfen internationalen Wettbewerb stehenden deutschen Reeder, und zweitens in Gestalt der Neuordnung der deutschen Schiffsbesetzungsverordnung (SchBesV). Auch das seit längerem ein Wunsch deutscher Reeder. Dessen Erfüllung hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) im Dezember 2015 beim traditionellen Reederessen in Hamburg gewissermaßen als vorweihnachtliches Geschenk mit nach Hamburg gebracht. (THB 14. Dezember 2015). Wichtig: Diese Anpassung der SchBesV stößt nicht überall in der deutschen Schifffahrtsbranche auf Gegenliebe. Zum Kreis der schärfsten Kritiker gehört beispielsweise der Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsingenieure (VDKS) in Hamburg (siehe Bericht Seite 3). Für Laiesz-Chef Nikolaus Schües sowie für Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied im VDR, wird aber genau diese Maßnahmenkombination entscheidend dazu beitragen, Schifffahrt unter deutscher Flagge und damit auch die Beschäftigung deutscher Seeleute international wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Wobei hier jedoch kein unrealistischer Flaggen-Länder-Vergleich herangezogen wird. Nagel: „Wir reden hier über Dänemark und die Niederlande.“ Zwei EU-Schifffahrtsnationen, die in den zurückliegenden 20 Jahren sehr viel getan haben, um ihre Reederei-Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten und maritimes Know-how für ihre Länder zu erhalten. Es waren die Niederlande, die 1996 als Erste in der EU die sogenannte Tonnagesteuer einführten und damit das Vorbild für den dann 1999 auch in Deutschland vollzogenen Schritt gaben.
Das maritime Know-how zu sichern, das heißt also auch, die Ausbildung seemännischen Nachwuchses auf deutschen Schiffen zu ermöglichen, ist für den VDR ein zentrales Anliegen. Die immer noch währende Schifffahrtskrise, für Reeder-Chef Schües so etwas wie der Beginn „einer neuen Zeitrechnung“ in der maritimen Industrie, hat auch bei der Beschäftigung unter Schwarz-Rot-Gold, forciert ab 2010, zu schmerzhaften Einschnitten geführt und damit einen messbaren Substanzverlust bewirkt. Nagel: „Allein in den vergangen zwei Jahren haben rund zehn Prozent der deutschen Seeleute ihren Arbeitsplatz verloren.“ (siehe Grafik)
Damit nicht genug: Junge Menschen, die vor der Berufswahl stehen, sind verunsichert angesichts dauerhafter Negativmeldungen aus der Schifffahrt und entscheiden sich, trotz anfänglicher maritimer Begeisterung, dann doch gegen einen seemännischen Beruf. Eine solche Entwicklung müsse unbedingt gestoppt werden, betont Nagel. Seine Überzeugung: „Wir müssen maritimes Knowhow für Deutschland sichern. Denn wenn dieses Knowhow verschwindet, dann verschwindet auch ein wesentliches Ankerglied für den Schifffahrtsstandort Deutschland.“ Um diesen Trend zu stoppen und wieder eine Aufbauentwicklung auszulösen, müssten die deutschen Reeder nichts anderes bekommen als das, was in anderen EU-Staaten mit nennenswerten Handelsflotten bereits existiere.
Dem Rückflag gungssignal, das die von Rostock aus geführte Reederei F. Laeisz jetzt erteilt hat, werden auch andere deutsche Schifffahrtsunternehmen folgen, davon sind sowohl Reeder-Chef Schües als auch VDR-Top-Mann Nagel überzeugt. So brachte nur wenige Tage später die Hamburger Offen-Gruppe den 14.000-TEU-Box-Carrier „CPO Genova“ (Chartername: „MSC Genova“) wieder unter deutsche Flagge. Nagel: „Gleichzeitig haben ein deutscher Kapitän und fünf deutsche Offiziere das Schiff übernommen.“
Die „Patara“, eines von insgesamt acht baugleichen Schiffen, wird künftig für die Laiesz-Gruppe als Ausbildungsschiff unterwegs sein. Neben Offiziersnachwuchs sollen dabei auch Schiffsmechaniker verstärkt auf diesem Schiff mitfahren, um im Rahmen ihrer Ausbildung wichtige Bordpraxis zu sammeln. Schües ist überzeugt: „Wir benötigen auch weiterhin Schiffsmechaniker, von denen sich am Ende ihrer Ausbildung übrigens über 80 Prozent dafür entscheiden, noch ein Fachstudium zu beginnen, um ein Patent zu erwerben, sei es als nautischer oder als technischer Offizier.“
Dass ausgerechnet die Laeisz-Gruppe am 30. Mai nach den Erwartungen des VDR, der Politik und des Unternehmens selbst so etwas wie das Signal zu einer Trendwende zugunsten einer Schifffahrt und Schwarz-Rot-Gold erteilt hat, verdient noch einen Rückblick in die jüngere deutsche Schifffahrtsgeschichte. Es war dieselbe Reederei, die am 21. März 2005 im Hansaport in Hamburg den Massengutfrachter „Paradise N“ (IMO 9149794) wieder unter deutsche Flagge brachte. Das Kommando lautete an diesem denkwürdigen Frühlingstag im Hamburger Hafen: „Hol nieder Liberia-Flagge, heiß deutsche Flagge!“ EHA