„Copenhagen“: In Windeseile über die Ostsee

Auf der Ostsee verkehrt die Hybridfähre „Copenhagen“ von Scandlines. Auf dem Schiff wurde ein Rotorsegel installiert, das nun als Antriebsunterstützung die Kraft des Windes nutzt, Foto: Scandlines

An Bord des Fährschiffes wurde ein großer Batteriespeicher verbaut. Hier wird der Strom für den Hybridantrieb gepuffert, Foto: Schwandt

Die Firma Norsepower lieferte das 30 Meter hohe Rotorsegel, das im Mai in Rostock montiert wurde, Foto: Scandlines

Die 170 Meter lange „Copenhagen“ wurde 2016 in Dienst gestellt und bietet 1300 Passagieren sowie 460 Autos oder 96 Lastwagen Platz, Foto: Schwandt

Fünf Meter Durchmesser hat das Rotorsegel an Bord der Hybridfähre. Es soll die CO2-Emissionen der „Copenhagen“ um bis zu fünf Prozent verringern, Foto: Schwandt
Segel sind auf der Ostsee vor Warnemünde, einem der windsichersten maritimen Reviere in Deutschland, dauerpräsent. Jetzt „weht“ vor den Leuchttürmen des Ostseebades regelmäßig ein Segel besonderer Art: Ein Rotorsegel. Mittschiffs ragt auf dem obersten Deck des Scandlines-Fährschiffs „Copenhagen“ ein metallener weißer Zylinder von fünf Meter Durchmesser 30 Meter hoch in den Himmel. Ein Hightech-Konstrukt, das mit der Ästhetik aufgeblähten Segeltuchs auf großen Windjammern nicht mithalten kann, aber mindestens genauso weithin sichtbar ist.
„In den ersten zwei Wochen war es schlimm“, beklagt Kapitän Jan Barsøe und lächelt verschmitzt. Wegen der Fragerei. Fast von jedem Schiff, das sich auf der Fährroute zwischen Rostock und dem dänischen Hafen Gedser der 169 Meter langen „Copenhagen“ näherte, klingelten Nautiker per Funk Kapitän Barsøe an. Sie wollten unbedingt erfahren, um was es sich bei dem ungewöhnlichen Aufbau an Deck handelt. Dass der Segelantrieb auf einem modernen Fährschiff zurück ist, sorgte bei den anderen Seefahrern für großes Erstaunen, erzählt der 55-jährige Däne.
Mit dem turmähnlichen Segel wird das bereits seit nahezu 100 Jahren bekannte Antriebsprinzip des Flettner-Rotors genutzt. Dabei bedienen sich die Ingenieure des finnischen Herstellers Norsepower des Magnus-Effekts. Von der Seite auftreffender Wind wird durch die motorisch erzeugte Rotation des Zylinders strömungstechnisch so beeinflusst, dass die Windenergie den Vorantrieb des Schiffes unterstützt. Die vorherrschenden Windverhältnisse auf der Nord-Süd-Route zwischen Rostock und Gedser kommen der deutsch-dänischen Reederei Scandlines beim Einsatz der alternativen Technik entgegen. Zumeist wehen die Winde aus Westen.
„In den ersten Einsatzwochen hat sich gezeigt, dass mit dem Rotorsegel das Schiff bis zu einem halben Knoten schneller unterwegs ist als ohne“, berichtet Michael Dietz, Sales- und Marketing-Manager bei Scandlines.
Die 2012 gegründete Firma Norsepower gilt als Vorreiter im Bereich moderner Windantriebstechnologien. So wurden unter anderem schon die Ostseefähre „Viking Grace“ und ein Produktentanker mit rotierenden Windsegeln ausgerüstet. Diese Beispiele hatten Scandlines bewogen, es ebenfalls mit dieser Segeltechnologie zu versuchen. Erste Erfahrungsberichte aus der Schifffahrt bestätigten positive ökologische und ökonomische Effekte. Zumal die Zusatz-Antriebskraft durch Wind mit anderen emissionsverringernden Technologien kompatibel ist. Die „Copenhagen“ verfügt wie das Schwesterschiff „Berlin“ über einen Hybrid-Antrieb. Traditionelle Schweröl-Motoren, deren Abgasen mindestens 90 Prozent ihres Schwefel- und Rußpartikelgehalts durch sogenannte Closed-Loop-Scrubber entzogen werden, arbeiten im Schiffsbetrieb in Kombination mit moderner Batterietechnologie.
Für die neue Technik an Bord musste Wartungsingenieur Thorstein Troest nach eigener Aussage nicht viel hinzulernen. „Das Rotorsegel ist einfach konstruiert und es wird vor allem vollautomatisch gesteuert“. Bei seinen Kontrollgängen schaut er dennoch immer wieder auch auf dem obersten Deck nach der Segeltechnik. Am Fuß des Zylinders gelangt er in dessen Inneres. Eine kirchturmhohe Röhre, in der sich sein prüfender Blick vor allem auf die mechanisch bewegten Teile richtet. Windsensoren an dem Rotorsegel, erklärt der 38-jährige Däne, würden permanent signalisieren, woher und wie stark der Wind weht. Entsprechend schnell rotiert das Segel.
Auf halber Strecke mit Kurs Gedser ist eine rasante Drehung des Zylinders zu erkennen. Maschinist Troest schätzt „so um die 140 Umdrehungen pro Minute“. Maximal seien 180 möglich. Kurz vor dem dänischen Hafen tourt das Segel fast auf null herunter. Automatisch. Eine GPS-markierte „rote Linie“ ist überfahren. „Das Segel wird bei der Hafenansteuerung herausgenommen, um das Fahrmanöver nicht zu beeinflussen“, begründet Troest diese Abschaltung der Technik.
Auf der Kommandobrücke der „Copenhagen“ hat der wachhabende Erste Offizier John Kaufmann neben allen nautischen Angaben auf den elektronischen Seekarten auch die Daten des Rotorsegels im Blick. „Wir spüren das Segel während der Fahrt“, sagt der seit 30 Jahren zur See fahrende Nautiker. Trifft sehr starker Wind auf den Zylinder, „treibt das Schiff aus der Kurslinie“. Dann müsse leicht gegengesteuert werden. Wie sich die Segeltechnik sonst auswirkt, etwa auf den Treibstoffverbrauch und die Emissionen, lasse sich nach der kurzen Einsatzdauer noch nicht einschätzen, so Kaufmann. „Wir sind noch in der Testphase, aber der erste Eindruck ist sehr positiv.“
Kapitän Barsøe zeigt sich zufrieden. Es wäre keine große Umstellung, „jetzt auch mit Segelantrieb zu navigieren“. Die Norsepower-Ingenieure hätten sie gut instruiert. „Merkwürdig“ findet es der Kapitän lediglich, dass die Technologie nicht schon früher in der Schifffahrt zur Anwendung gekommen ist. Ein Grund dürfte sein, dass erst seit geraumer Zeit in der internationalen Seeschifffahrt konsequent darauf gedrungen wird, die Schadstoffemissionen von Schiffen drastisch zu senken. Neben der Schwefeldioxid-Reduzierung verfolgen die Reedereien unterschiedliche Strategien, um auch den Ausstoß von Feinstaub, Stickoxiden und Kohlendioxid (CO2) zu verringern. Sie reichen von der Scrubber-Technik über die Verwendung von Flüssiggas (LNG) und Methanol bis hin zum Hybrid- sowie experimentellem Wind-, Wasserstoff- und reinem Batterieantrieb.
Als vor Jahren Scandlines die Segel setzte, um strikten Kurs auf eine emissionsfreie Fährschifffahrt zu nehmen, spielte in den ersten Überlegungen der Flettner-Rotor bereits eine Rolle. Doch zunächst fokussierte sich die Reederei auf den batteriegestützten Hybrid-Antrieb und brachte 2016 mit der „Copenhagen“ und der „Berlin“ die weltgrößten Hybrid-Fährschiffe auf der Linie Rostock-Gedser in Fahrt.
Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Ziel „Zero Emission“ ist nun das Rotorsegel. Es ermöglicht, die Leistung der Schiffsmotoren zu drosseln und mit Hilfe des Windes trotzdem Geschwindigkeit und Fahrtzeit beizubehalten. Der sich verringernde Treibstoffverbrauch führt zu weniger Schadstoffausstoß. „Wir erwarten, die CO2-Emissionen um vier bis fünf Prozent reduzieren zu können“, betont Manager Dietze.
Bewährt sich das Segel auf der „Copenhagen“, könnte später auch die „Berlin“ ein solches erhalten. tja/schw