Mit dem Schuhkarton immer wieder über den Nord-Ostsee-Kanal

Die "Adler I" ähnelt einem Schuhkarton - und wird von den Passagieren deshalb auch liebevoll so genannt (Bild: DVV)
Die Sonne glitzert auf den seichten Wellen. Sie schlagen rhythmisch gegen den Bug der "Adler I". Mit einem kleinen Bogen bahnt sich Mathias Hoffmann am Steuer der Kanalfähre durch das Fahrwasser eines Containerschiffs seinen Weg zum anderen Kanalufer.
Von morgens bis abends bringt die Fähre Fußgänger und Fahrradfahrer über die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Eine Überfahrt vom Kieler Stadtteil Holtenau in den Stadtteil Wik dauert gerade einmal drei Minuten. "Wenn ich Slalom fahren muss, sind es auch mal fünf Minuten", sagt Hoffmann.
Seit sechs Jahren steht der Seemann am Steuer der 14 Meter langen Fähre. "Das ist der entspannteste Job, den ich je hatte", sagt Hoffmann. "Die Einheimischen sprechen mich zwar meistens mit Käpt'n an, aber eigentlich bin ich ja Fährführer." Auf sechs Tage "Kanalfahrt" folgen für ihn drei freie Tage. Der Fahrplan ist streng getaktet. Während der Sommermonate legt er 124 Mal am Tag ab, im Winter gibt es "nur" 108 Abfahrten. An diesem Spätsommertag ist die Fähre wieder voll. Bis zu 49 Personen und zwei Dutzend Fahrräder passen rauf. Das bedeutet pro Tag? "Während der Sommermonate sind
3000 bis 4000 Menschen an Bord, im Winter immer noch bis zu 1000."
Viele Pendler sind regelmäßig mit "Adler I" unterwegs. Man kennt sich. "Die Passagiere nennen das Schiff liebevoll Schuhkarton", sagt der 56-Jährige. "Und ein bisschen sieht es ja auch so aus." Die Fahreigenschaften des kleinen Kahns sind nicht jedes Seemanns Sache, wenn man Hoffmann glaubt: "Das hat schon seine Launen, das kleine Ding." Gesteuert wird die Fähre über die drehbare Schraube. Das fühle sich ungefähr so an, "als wenn man eine Badewanne steuert". Fehler verzeihe das Schiff nicht. Viele Kapitäne kämen damit nicht zurecht und suchten sich schnell wieder einen anderen Job. "Wir haben etwas Nachwuchsmangel."
Von Seefahrt geträumt
Für den gebürtigen Mecklenburger ist das aber kein Problem. Routiniert schippert er von Stadtteil zu Stadtteil. Zu DDR-Zeiten fuhr er lange Jahre auf einem Fischfabrik-Schiff. "Ich wäre da bis zur Rente gefahren, aber dann kam die Wende." Hoffmann ging an Land und schulte um. Doch das Büro war nichts für ihn. "Ich habe an Land immer wieder von der Seefahrt geträumt." Mit der Zeit habe es ihn genervt, jeden Tag im Büro zu sitzen.
Hoffmann vermisste die Freiheit, die frische Luft und die Ruhe auf See. Nach einer Zwischenstation auf einem Fährschiff in der Nordsee zwischen Sylt, Amrum und Föhr nun also der Nord-Ostsee-Kanal. "Auf das große Wasser will ich nicht mehr", sagt er. Außer seinem jetzigen Job käme für ihn nur eine andere Aufgabe in Frage. "Ein Passagierschiff auf der Ostsee würde mich reizen - aber erst nach der Rente als Nebenjob."
Bis dahin stehen noch einige Kanalpassagen an. Für die kurze Fahrt von einem zum anderen Ufer zahlen die Passagiere nichts. Grundlage für die kostenlose Querung des Nord-Ostsee-Kanals mit Fähren ist der Planfeststellungsbeschluss zum Bau des Kanals aus dem 19. Jahrhundert, wie die Sprecherin der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, Claudia Thoma, sagt. "Mit dem Bau des Nord-Ostsee-Kanals wurden teilweise Straßen und Gemeinden durchschnitten, die durch Fähren wieder verbunden wurden." Seit Kaisers Zeiten sei die Fährpassage daher für Fahrzeuge und Personen kostenlos.
Insgesamt gibt es entlang der Wasserstraße 14 Fährstellen. Die Fähre zwischen der Wik und Holtenau ist aber die einzige Personenfähre. "Adler I" fährt bei Wind und Wetter. "Wir hören erst auf, wenn gar nichts mehr geht", sagt Hoffmann. Das sei ihm und seinen Kollegen aber noch nicht passiert. (lno)