Hamburg hofft auf Speicherstadt als erstes Weltkulturerbe

Bild: HHLA

Bild: Hasenpusch

Bild: HHLA
Eine Besichtigung der Speicherstadt ist für viele Touristen - außer einer Hafenrundfahrt - einer der Höhepunkte ihres Hamburg-Besuchs. Wo früher hinter malerischen Backsteinfassaden Kaffee, Kakao und Gewürze lagerten, haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Touristen-Attraktionen angesiedelt, darunter mit dem Miniaturwunderland die größte Modelleisenbahn der Welt, das Hamburg Dungeon und das Speicherstadtmuseum.
In Sichtweite liegen im neuen Stadtteil Hafencity das Maritime Museum, die spektakuläre Elbphilharmonie und das Kreuzfahrtterminal Cruise Center. Bald könnte die Speicherstadt mit einem neuen Titel noch mehr Touristen anlocken: Anfang Juli entscheidet das Unesco-Welterbekomitee, ob das Ensemble aus historischem Lagerkomplex und gegenüberliegendem Kontorhausviertel Hamburgs erstes Weltkulturerbe wird.
"Die beiden Quartiere dokumentieren in weltweit einmalig erhaltener Konzentration und Größenordnung den Wandel von der durchmischten Stadt hin zur modernen City mit monofunktionalen Zonen", sagt Agnes Seemann vom Hamburger Denkmalschutzamt. Die Speicherstadt gilt als das größte zusammenhängende, einheitlich geprägte Speicherensemble der Welt. Auf einer Strecke von 1,5 Kilometern säumen aufwendig gestaltete Speicherblöcke malerische Fleete. Das größte und modernste Logistikzentrum seiner Zeit wurde zwischen 1885 und 1927 in drei Bauabschnitten unter der Leitung von Franz Andreas Meyer errichtet. "Eine in etwa vergleichbare Anlage gibt es nur noch im italienischen Triest, aber dort droht sie zu zerfallen", sagt Seemann. Die Speicherstadt, die der städtischen Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) gehört, steht dagegen schon seit 1991 unter Denkmalschutz und wird in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt behutsam umgenutzt.
Die Kontorhäuser des direkt gegenüberliegenden, vorwiegend in den 1920er und 1930er Jahren entstandenen Kontorhausviertels gelten als erstes reines Büroviertel auf dem europäischen Kontinent. Höhepunkt des Viertels ist das von Fritz Höger errichtete Chilehaus, das mit seiner expressionistischen Backsteinarchitektur und seinem berühmten "Schiffsbug" in keinem Standardwerk über die Architektur des 20. Jahrhundert fehlt.
Hamburg hatte die Speicherstadt dem Deutschen Reich einst abgerungen. Auf Wunsch des Reichskanzlers Otto von Bismarck sollte Hamburg bis 1888 in das deutsche Zollgebiet eingegliedert werden - was den Kaufleuten gar nicht gefiel. Sie pochten auf ihr Privileg, Importe zollfrei umzuschlagen, zu lagern und zu veredeln. Der Kompromiss: Ein Freihafengebiet, das vom Anschluss an den Deutschen Zollverein ausgenommen war. 1881 wurde der Zollanschlussvertrag unterzeichnet.
Es war der Startschuss für den Bau der Speicherstadt.
Weil die Lager der Kaufleute zuvor in der ganzen Stadt und damit im zukünftig zollpflichtigen Gebiet verstreut waren, musste ein Bauprojekt von heute unvorstellbaren Ausmaßen angeschoben werden. Ein ganzer Stadtteil fiel ihm zum Opfer. Mehr als 18.000 Menschen verließen notgedrungen ihre Häuser, damit 1885 mit der Errichtung der Speicher begonnen werden konnte. Jeder Block hatte jeweils eine
Wasser- und eine Landseite, womit Waren sowohl per Schuten über die Fleete als auch über die Straße transportiert werden konnten. Fast 60 Jahre war die Speicherstadt ein boomendes Quartier, bis im Zweiten Weltkrieg fast 50 Prozent der Gebäude zerstört wurden. Unter der Leitung von Werner Kallmorgen wurde das Viertel wieder aufgebaut.
Die Einführung des Containers in den 1960er Jahren revolutionierte die Häfen der Welt. Waren wie Kaffee, Tee und Kakao wurden zunehmend lose in Containern befördert, die aufwendige Anlieferung per Schuten in die Speicherstadt wurde zu teuer. In den 1980er Jahren, als die einstigen Waren der Speicherstadt größtenteils an modernen Container-Terminals umgeschlagen wurden, hielten die Teppichhändler Einzug in das Quartier. Noch heute gilt die Speicherstadt als weltweit größter Lager- und Handelsplatz für Orientteppiche, obwohl die Zahl der Händler dramatisch gesunken ist. "Früher gab es hier rund 400 Teppichhändler, heute sind es gerade mal 50", sagt Holger Brands, Mitarbeiter bei Abulhassan Heidarinami aus dem Iran.
"Kontorhausviertel und Speicherstadt schlagen heute die Brücke zwischen der Hamburger Innenstadt und der neuen Hafencity. Hier gelingt es auf vorbildliche Weise, Denkmäler lebendig zu halten und so für die Nachwelt auch erfahrbar zu machen", sagt Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). Neben Mode- und Werbefirmen will die Kulturbehörde auch Künstlern bezahlbare Atelierflächen in der Speicherstadt zur Verfügung stellen. Ein erster Speicherboden mit neun Ateliers wurde 2007 umgebaut, bis 2019 sollen 10.000 Quadratmeter zu günstigen Konditionen zur Verfügung stehen. Eine der Künstlerinnen, die dort arbeiten, ist Sylvia Henze: "Ich finde die Entwicklung in diesem Viertel sehr spannend und setze mich auch künstlerisch damit in meinen Arbeiten auseinander." lno
Die Hamburger Speicherstadt gilt als das größte zusammenhängende und einheitlich geprägte Speicherensemble der Welt. Es wurde von 1885 bis 1927 unter der Leitung von Franz Andreas Meyer in drei Bauabschnitten als größtes und modernstes Logistikzentrum seiner Zeit errichtet. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Speicherstadt zwar stark beschädigt, aber in der Nachkriegszeit von Werner Kallmorgen weitgehend nach historischem Vorbild wieder aufgebaut und mit 1950er-Jahre-Bauten von hoher Qualität ergänzt. Durch den behutsamen Wiederaufbau konnte das einheitliche Bild, das die Speicherstadt bis heute prägt, wieder hergestellt werden.
Die Speicherstadt besteht aus 15 mehrgeschossigen Lagerhäusern und einer Reihe von Einzelbauten, die bis auf wenige Ausnahmen in Backsteinbauweise in neogotischem oder neoromantischem Stil errichtet wurden. Als zentraler Umschlagsort im Hamburger Hafen ist die Speicherstadt eingebettet in ein System aus Kanälen, Brücken, Bahnverbindungen und Pflasterstraßen. Wo früher Importgüter wie Kaffee, Kakao und Tee gelagert wurden, haben sich heute Mode- und Werbefirmen sowie zahlreiche Touristenattraktionen angesiedelt.
Das Hamburger Kontorhausviertel nördlich der Speicherstadt entstand in den 1920er und 1930er Jahren und besteht aus teilweise blockfüllenden Gebäuden mit Klinkerfassaden. Es gilt als erstes reines Büroviertel auf dem europäischen Kontinent. Dominiert wird es von dem von Fritz Höger zwischen 1922 und 1924 geschaffenen Chilehaus. Mit seiner an einen Schiffsbug erinnernden Spitze und der charakteristischen Detaillierung der Fassade gilt es als eine Ikone des Expressionismus in der Architektur. dpa