Rotterdam setzt auf den Faktor „Tiefgang“

Eintrag ins Geschichtsbuch des Rotterdamer Hafens geschafft: Die 2018 gebaute „NYK Wren“ machte jetzt mit einem Tiefgang von 16,10 Metern im Maashafen fest, Foto: Hafen Rotterdam
Der Rotterdamer Hafen will einen seiner natürlichen Standort-Trümpfe, den schon jetzt vorhandenen großen Tiefgang in den Terminals im Übergang zur Nordsee, in Zukunft noch stärker ausspielen.
Damit will der Maashafen seine Bedeutung für die internationale Großcontainerschifffahrt, aber auch für die Offshore-Industrie weiter stärken. Der Hafenbetrieb Rotterdam (HbR) tritt dazu in umfangreiche finanzielle Vorleistung. Erhebliche Mittel fließen dabei gezielt in die Vertiefung der nautischen Zufahrt beziehungsweise der für die Abfertigung der Schiffe unterschiedlicher Gütersegmente relevanten Hafenbecken und damit auch Terminals.
Aktuell ruht ein Fokus auf dem Hafenbecken Amazonehaven. Es entstand im Zuge des Baus der Maasebene 1 (Maasvlakte 1/MV 1). Inzwischen schließt sich an die „MV 1“ die „Maasebene 2“ an. Das Anlegen dieser neuen, vollständig aus dem Meer gewonnenen Hafenerweiterungsfläche (brutto: 2000 Hektar) bewirkte auch den Bau verschiedener neuer Containerterminals, aber auch den Bau eines neuen Schwergutumschlag-Bereichs. Der HbR setzt bei der Erschließung der „MV 2“ auf einen phasenweisen Ausbau, das heißt die neuen Kapazitäten sollen bereits durch eine entsprechende Nachfrage unterfüttert sein. Neben klassischem Umschlag sollen auf diesem Areal auch Industriefirmen angesiedelt werden. Aktuell liegt dabei der Fokus des HbR auf dem „Erneuerbaren Energie-Cluster“.
Im Amazonehaven, in dem unter anderem der zum Hutchison Ports-Konzern gehörende Terminal-Dienstleister ECT mit einem neuen Terminal beheimatet ist, wird das Hafenbecken von 16,65 Metern Tiefe auf künftig 17,45 Meter ausgebaggert. Die erste Vertiefungsphase konnte jetzt durch das niederländische Wasserbauunternehmen Van Oord, auch in den deutschen Häfen ein „guter Bekannter“, zwei Wochen früher als geplant abgeschlossen werden. Es handelt sich dabei um eine rund 500 Meter lange Vertiefungsstrecke im Liegeplatzbereich des ECT Delta Terminals.
Der Baggerplan war ambitioniert angelegt, war er doch auf den Anlauf des 2018 gebauten Containerschiffs „NYK Wren“ (IMO 9784776) zugeschnitten. Der rund 368 Meter lange und 51 Meter breite Box-Carrier machte am letzten Wochenende mit einem Rekordtiefgang von 16,1 Metern am ECT-Terminal fest.
Bei der Vertiefung, aber auch bei den unverzichtbaren Unterhaltungsbaggerungen, will der HbR neue Wege beschreiten. Statt des bislang üblichen Verfahrens, bei dem große Laderaumsaugbagger („Hopperbagger“) zum Einsatz kommen, will der HbR ein schonenderes und umweltfreundliches Verfahren einführen: „Water injection“, so der englischsprachige Fachbegriff. Dabei wird das Sediment mit Hilfe von großen „Spritzen“ gezielt aufgewirbelt, so dass es dann unter Einwirkung des natürlichen Tidestroms aus dem Hafenbereich in die offenen See fortgetragen werden kann.
Rotterdam muss nach eigener Darstellung jährlich rund fünf Millionen Kubikmeter Sediment innerhalb seines weitläufigen Hafenbereichs beseitigen.
Die umfangreichen Tests, an denen ebenfalls Van Oord mit einem Spezialfahrzeug beteiligt ist, hat der HbR in ein eigens dafür geschaffenes Testprogramm eingebettet. Es läuft unter der Bezeichnung „Prisma“, was auf Niederländisch für „Programma Innovatie Sediment Management“ steht. Frei übersetzt: „Innovations-Programm zum Sediment-Management“.
Das Verfahren wird dabei umfassend wissenschaftlich begleitet, und zwar durch die TU Delft sowie durch die Facheinrichtungen Deltares und Marin.
In einem ersten Großversuch kam das neue Verfahren im Bereich des wichtigen Calandkanals im Rotterdamer Hafen zur Anwendung. Der Versuch erstreckte sich über zwei Jahre.
Sollte das Wasserinjektionsverfahren die darin gesetzten Erwartungen erfüllen, rechnet der HbR nicht nur mit deutlich weniger Kosten, sondern auch mit einem wirkungsvollen Beitrag zum Klimaschutz. Denn dann müssten die großen Baggerschiffe nicht mehr so oft zum Einsatz kommen.
Die Tests mit dem Wasser-injektionsverfahren könnten auch für die deutschen Häfen von besonderem Interesse sein, allen voran in Hamburg. Die Hansestadt muss seit mehreren Jahren rund 100 Millionen Euro für Unterhaltungsbaggerungen im Hafenbereich aufwenden. Große Wasserbaukonzerne aus dem Benelux-Raum, darunter Van Oord oder auch Deme, gehören dabei zu den langjährigen Dienstleistern. Das Injektionsverfahren kam kürzlich im Bereich der Pella Sietas-Werft zur Anwendung. Dort war das Werfthafenbecken weitgehend verschlickt, was unter anderem dazu führte, dass ein wichtiger Auftrag für den Bund erst mit großer Verzögerung weiterbearbeitet werden konnte. EHA