Experten: Fischtreppe schwächt Wehr-Damm

Die mögliche „Sollbruchstelle“ und Quelle des Fast-Kollapses des Damms an der Staustufe Geesthacht: die „Fischtreppe“ (l.). Blick in Richtung Osten, Foto: Timo Jann

Gewaltige Materialmengen: 2500 Tonnen Sand und Steine wurden verbaut, Foto: Timo Jann

Schweres Gerät im Dauereinsatz an der Staustufe: Arbeitsschiff mit Bagger, Foto: Timo Jann
Die Einstellung des Binnenschiffsverkehrs auf der Oberelbe ab Geesthacht stromaufwärts entwickelt sich zu einem finanziellen Desaster für all jene Binnenschifffahrtsunternehmen, deren Einheiten aufgrund des Fast-Dammbruchs im Bereich der Staustufe Geesthacht seit dem Wochenende festliegen.
Bei Redaktionsschluss am Dienstag lagen vor und hinter dem Schiffshebewerk in Scharnebeck im Zuge des Elbe-Seiten-Kanals (ESK) etwa 70 Frachter und Schubverbände fest. „Das wird jetzt teuer“, erzählte etwa Pascal van der Padt, Kapitän und Eigner des 2013 in den Niederlanden gebauten Binnentankschiffs „Asterode“, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Van der Padt kalkuliert mit einem Tagesverlust von etwa 5000 Euro. Die 86 Meter lange und 10 Meter breite „Asterode“ liegt seit dem vergangenen Freitag am Schiffshebewerk Scharnebeck fest.
An dem Tag wurde in Geesthacht durch Zufall, so die offizielle Verlautbarung der Behörden, entdeckt, dass ein Damm im Stauwehr Geesthacht zu brechen drohe. Daraufhin wurde eines der vier Wehrtore geöffnet, so dass der Wasserstand hinter dem Stausee binnen kürzester Zeit um einen halben Meter sank. Die Folgen: Die Schleusen in Geesthacht, am Eingang zum Elbe-Lübeck-Kanal (ELK) in Lauenburg und das Schiffshebewerk in Scharnebeck als Scharnier zum ESK mussten mangels ausreichendem Wasserstand den Betrieb bis auf Weiteres einstellen.
Zudem ordneten die zuständigen Behörden eine Notreparatur des Damms an, in deren Verlauf bislang über 2500 Tonnen Material, mehrheitlich Sand und Steine, verbaut wurden. Die Reparaturarbeiten am rund 60 Jahre alten Geesthachter Wehr sollen nach Einschätzung der Wasser- und Schifffahrtsstraßenverwaltung mindestens bis zum heutigen Mittwoch dauern.
Danach soll das bei Redaktionsschluss am Dienstag noch geöffnete Wehrtor wieder geschlossen werden, so dass der Wasserstand langsam wieder ansteigen kann. Das alles sehr vorsichtig, um eine erneute Schädigung des Damms zu verhindern. Erst danach könnten die Schleusen und das Schiffshebewerk wieder ihre Arbeit voll aufnehmen.
Ursprünglich hätte die 1960 in Betrieb genommene Stau-Anlage in Geesthacht ab 2020 grundsaniert werden sollen. In dem Zusammenhang sollen unter anderem alle vier Wehrtore durch Neuanfertigungen ersetzt werden. Der aktuelle Vorgang könnte die Sanierung noch beschleunigen, so die Erwartung.
Den aktuellen Stillstand beim Binnenschiffsverkehr auf der Elbe, und zwar in beiden Verkehrsrichtungen – stromaufwärts wie auch stromabwärts – bewertet auch Zbigniew Wicher, Kapitän des Container-Binnenschiffs „BCF Glückauf“, als ein „riesiges Problem für unsere Firma“. Das Schiff fährt für die Börde-Container-Line normalerweise im Wechselverkehr von und nach Hamburg.
Indes widmen sich Experten der Wasserstraßenverwaltung auch der Frage, was zu diesem Abrutschen des Dammes führen konnte. Er grenzt direkt an die „Fischtreppe Geesthacht“ („Fischaufstiegsanlage“). Sie wurde mit weiteren ökologischen Ausgleichsmaßnahmen im Kontext mit dem neuen Vattenfall-Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg gebaut. Die Anlage wurde im August 2010 eingeweiht und gilt als größte Fischtreppe Europas. Dank dieser Einrichtung können Fische auch wieder stromaufwärts ziehen. Schätzungen gehen dahin, dass seit der Inbetriebnahme der „Fischtreppe“ rund 1,7 Milliarden Tiere die Aufstiegshilfe bei Geesthacht nutzten.
Nach THB-Informationen gehen derzeit Experten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) und der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) davon aus, dass die sogenannte „Lockströmung“ der Fischtreppe zu dem massiven Abrutschen des Damms im Stauwehr geführt hat.
„Das war kein kurzzeitiges Versagen des Dammes, das muss sich langsam entwickelt haben“, erklärte etwa Stefan Lühr, Ingenieur beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) in Lauenburg, dem THB auf Anfrage. Lühr plant derzeit eigentlich die für 2020 projektierte Sanierung des Stauwehrs und hatte die massiven Schäden am Freitag bei einem Ortstermin zufällig entdeckt. Und das wohl auch nur, weil zu dem Zeitpunkt gerade Ebbe herrschte. Bei Flut im Tidebereich hätte er die gefährlichen Risse und Absackungen nicht sehen können, ist zu vernehmen.
Die Fischtreppe befindet sich am nördlichen Ufer der Elbe und kreuzt den sogenannten festen Überlauf des Wehres. Damit Fische, die in ihre Laichgebiete elbaufwärts wandern, das Stauwehr überwinden können, war die Aufstiegshilfe nötig. Und damit Fische den Eingang in die Treppe finden, wurden durch den Überlauf vier Rinnen angelegt. Dadurch fließt Wasser elbabwärts und lockt mit seiner Strömung Fische an. Lühr: „Wahrscheinlich hat dieses Wasser den Boden ausgespült.“ So bildete sich ein Kolk, wie die Experten Ausspülungen bezeichnen. Schließlich hielt das Deckwerk nicht mehr und rutschte auf etwa 300 Quadratmetern ab.
Nachdem am Freitagabend aus der Notsituation heraus die Absenkung des Pegels der Oberelbe eingeleitet wurde, um den Damm von Wasserdruck zu entlasten, wurden am Sonnabend auch die Zuläufe der vier Rinnen für die Lockströmung mit Bohlen, Planen und Sandsäcken verschlossen. Unklar ist aktuell, was das für den Weiterbetrieb der Fischtreppe bedeutet. Die Rinnen sind mittlerweile komplett mit Kies verfüllt.
Auch am Dienstag gingen die Sicherungsarbeiten am Damm mit hoher Intensität und massivem Materialeinsatz weiter. Ein Vermessungsschiff des WSA prüfte zudem die Wassertiefe unterhalb des festen Überlaufs auf mögliche Ablagerungen, die sich dort durch das Abrutschen des Dammes gebildet haben könnten. Auch an Land werden Messpunkte gesetzt, um mögliche Erdbewegungen erkennen zu können.
Wie schnell sich der Schiffsstau nach dem Erreichen des alten Sollpegelstands indes abbauen lässt, ist derzeit nicht klar. Experten rechnen mit Tagen und erinnern sich dabei an gravierende Systemausfälle vor Jahren am über 40 Jahre alten Schiffshebewerk in Scharnebeck. EHA/tja/dpa