Reederpräsident Hartmann: Lage bleibt äußerst schwierig

Mehr als acht Jahre Dauerkrise in der Schifffahrt haben Spuren hinterlassen. Die deutsche Handelsflotte schrumpft weiter.

In diesem Jahr sank die Zahl der Frachter unter deutscher Regie um 131 auf 2884 Einheiten (Stand 30.9.2016). 176 Schiffe wurden ins Ausland verkauft, darunter 84 Containercarrier. Die Transportkapazität ist seit dem Höchststand im Jahr 2012 um 16 Prozent auf 75 Millionen BRZ zurückgegangen. Unter deutscher Flagge fahren derzeit nur noch 339 Schiffe (Stand 31.10./BSH). Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 354. Die Zahl der deutschen Seeleute verringerte sich im Verhältnis zur schrumpfenden Flotte auf 6600 (30.9.) im Vergleich zum Vorjahr (30.9.2015: 6800). Der Verband Deutscher Reeder (VDR) führt die relativ stabile Entwicklung auf die Entlastungen bei der Lohnsteuer und die flexiblere Schiffsbesetzungsverordnung zurück, die seit Sommer 2016 in Kraft sind.

„Fracht- und Charterraten sind in den meisten Bereichen nicht auskömmlich. Die Lage bleibt für viele Reedereien daher äußerst schwierig. Trotzdem hoffen wir auf positive Entwicklungen im neuen Jahr“, sagte VDR-Präsident Alfred Hartmann dem THB in Hamburg. So gebe es zum Beispiel bereits erfreuliche Signale aus der Bulkerfahrt mit verbesserten Frachtraten. Auch für Spezialschiffe und im Ölgeschäft sei eine leichte Belebung spürbar. „Die Talsohle scheint erreicht zu sein“, erklärte Hartmann zuversichtlich. Außerdem sei die Schifffahrt grundsätzlich eine Wachstumsbranche, die auch 2017 vom weiter steigenden Welthandel profitieren werde. Allerdings be stehe unverändert ein Einnahmeproblem aufgrund erheblicher Überkapazitäten. „Die Reedereien stellen sich daher ganz überwiegend noch internationaler auf, auch bei der Suche nach neuen Finanzierungspartnern. In nächster Zeit wird es mit großer Wahrscheinlichkeit zu weiteren Konsolidierungen, Übernahmen und auch leider wohl zu Insolvenzen kommen.“

Doch Hartmann rechnet auch mit einer leichten Verbesserung der Lage durch die zunehmende Verschrottung alter Schiffe. Die neuen Ballastwasser-Vorschriften könnten diesen Trend noch verstärken, wenn Kapital für die teure Nachrüstung einer Aufbereitungsanlage fehle.

Positiv sieht der VDR, dass der Umweltausschuss der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO in London weltweit einheitliche Standards beschlossen hat. So dürfen ab 2020 weltweit nur noch Treibstoffe eingesetzt werden, die höchstens 0,5 Prozent Schwefel enthalten, oder die Abgase müssen entsprechend gereinigt werden. Bislang lag dieser Grenzwert bei 3,5 Prozent. Für die Nord- und Ostsee gilt schon seit Beginn des vergangenen Jahres ein noch strengerer Grenzwert von höchs tens 0,1 Prozent Schwefel im Treibstoff. Hier wird jedoch 2021 eine neue Vorschrift eingeführt, nach der neue Schiffe ihren Ausstoß an Stick oxiden (NOx) um rund 75 Prozent reduzieren müssen.

„Damit ist faktisch das Aus für den heute üblichen Schwerölbetrieb der Seeschiffe beschlossen“, so Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des VDR. Der neue weltweite Grenzwert von 0,5 Prozent sei nur mit aufwendigen Katalysatoren oder mit einem Gasantrieb zu erreichen. „Der neue Schwefel-Grenzwert wird das saubere Flüssiggas LNG (Liquefied Natural Gas) und alternative Brennstoffe in der Schifffahrt vorantreiben“, so Nagel. „Der moderne Seetransport wird sauberer als jemals zuvor.“ Profitieren würden besonders die Anwohner von Häfen und Küs tengewässern. Allerdings gibt es noch keine verlässliche Infrastruktur für LNG, kein Tankstellen- und Transportnetz. Manche Reedereien haben aber schon Schiffe bestellt, die auch mit LNG fahren können.

Im Vorfeld des morgen Abend in der Hamburger Börse stattfindenden traditionellen Jahresessens der Reeder mit rund 300 Teilnehmern – Gastredner wird Schleswig-Holsteins Minis terpräsident Torsten Albig (SPD) sein – verweisen Hartmann und Nagel auch auf die vom VDR unterstützte Initiative zur Förderung von LNG-betriebenen Schiffen, die jetzt von der Bundesregierung beschlossen worden ist. Bis 2023 werden 150 Millionen Euro an Fördermitteln für Neubauten und Nachrüstungen bereitgestellt, um den breiten Einstieg in den emissionsarmen Gasbetrieb zu sichern. Neben „Green Shipping“ setzt der VDR voll auf Innovationen im Bereich Digitalisierung. „Die Chancen von Smart Shipping zu erkennen und erfolgreich zu nutzen, ist Schlüsselfaktor für die Zukunftsfähigkeit der Branche“, betonen die Verbands chefs. Wichtige Schwerpunkte sind dabei die digitale Überwachung und Auswertung aller Betriebsdaten von Schiffen, leistungsstarke Navigationstechnik, die vielleicht auch einmal ohne Crew auskommt, sowie völlig neue Prozesse und Geschäftsmodelle, die über die Nutzung von Big Data und eine steigende Vernetzung von Land- und Bordbetrieb entstehen können.

Beim Thema Ausbildung und Beschäftigung deutscher Seeleute sieht der VDR zentrale Meilensteine erreicht. So wird der Nachwuchs unter anderem durch die Reeder über die „Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland“ jährlich mit 20 Millionen Euro gefördert. International seien die Chancen gut. Die Entlastung der Reedereien bei der Lohnsteuer und die flexibleren Vorgaben zur Schiffsbesetzung mit europäischen Offizieren hätten die Job-Perspektiven für deutsche Seeleute verbessert, so Hartmann.

„Die hervorragende Ausbildung und das Know-how der deutschen Seeleute sind ein zentraler Wettbewerbsvorteil für die maritime Wirtschaft am Standort Deutschland“, betont der VDR-Präsident. Ausbildung und Beschäftigung für den maritimen Nachwuchs auch in Zukunft zu sichern, sei eine gemeinsame Aufgabe für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Dennoch sehen sich viele maritime Berufsstände wie Kapitäne, Lotsen oder Schiffsmechaniker in schwerem Fahrwasser. Die Schifffahrtskrise und der Schrumpfkurs bei der deutschen Handelsflotte trüben die Zukunftsperspektiven für den deutschen Seefahrer-Nachwuchs. Deutsches Personal sei nicht mehr so nachgefragt und für die Absolventen und zum Beispiel Junior-Offiziere sei es derzeit schwierig, einen Job auf deutschen Schiffen zu finden, heißt es aus den Fachbereichen Seefahrt und Logis tik an deutschen Hochschulen. „Die Stiftung hat mehr als 1300 deutsche Nachwuchs-Seeleute gefördert und ihre Berufsperspektiven maßgeblich verbessert“, hält Nagel dagegen.

Mit rund 200 Mitgliedsunternehmen repräsentiert der VDR die deutsche Schifffahrtsbranche als viertgrößte Handelsflotte der Welt. Gründer waren 1907 die regionalen Reedervereinigungen, um eine gemeinsame und einheitliche Interessenwahrnehmung zu ermöglichen. Die Mehrzahl der Mitgliedsfirmen ist mittelständisch geprägt. Sie werden seit vielen Jahrzehnten von Eigentümern, Familien und langfristig orientierten Managern geführt.

„Heute vertritt der VDR die deutsche Seeschifffahrt nicht mehr nur in Berlin und Bonn, sondern auch in Brüssel, London, Genf und auf globaler Ebene. Ralf Nagel und sein Team haben über die Jahre wichtige Kontakte zu allen Ebenen der politischen und administrativen Entscheider aufgebaut“, versichert Hartmann. Über die Mitgliedschaft in vielen internationalen Organisationen erreicht der VDR die maritimen Entscheidungszentren weltweit. International agiert der VDR in enger Abstimmung mit den Dachverbänden der Schifffahrt: ICS, ECSA, aber auch BIMCO, INTERTANKO, dem World Shipping Council und anderen Interessenvertretungen der maritimen Wirtschaft wie etwa der International Group of P&I Clubs.

„Wir bringen unsere Expertise auch in multilaterale Verhandlungen ein, um für die deutschen Reeder überall dort bessere Wettbewerbsbedingungen zu erreichen, wo sie geschäftlich aktiv sind“, ergänzt Nagel. Beispielhaft für die Internationalisierung des VDR seien in diesem Jahr auch hochrangige Gespräche mit Politik und Unternehmen in Teheran, Hongkong und Washington gewesen. FBi

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