Studie: Seeleute durch Leben an Bord psychisch belastet

Besatzungsmitglieder müssen bei ihrem Einsatz an Bord zum Teil Schwerstarbeit leisten, Foto: Hasenpusch

Geitmann, Foto: Schwandt
Das Leben an Bord von Schiffen belastet viele Seeleute psychisch.
Vor allem unter den monatelangen Fahrzeiten und dem geringen Kontakt zur Familie leiden die Besatzungsmitglieder. Das belegen die Ergebnisse einer aktuellen Studie. Für die „Hamburg Seafarer Study“ befragte die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) über 300 Seeleute sowie Reedereien. Ein Ergebnis: „Ökonomisierte Abläufe des Schiffsbetriebs bedeuten gegenwärtig oft eine psychophysische Belastung für die Besatzung“. Es gibt demnach nur wenige Möglichkeiten zum Kontakt mit der Familie.
Nur 15 Prozent der Befragten gaben an, dass eine Internetverbindung an Bord ihres letzten Schiffes von ihrer Reederei auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt worden war. Die befragten Offiziere sind durchschnittlich vier bis fünf Monate am Stück auf See, die Mannschaft über acht Monate. Über ein Drittel der Offiziere und die Hälfte der Seeleute bewerteten die Einsatzzeiten als zu lang.
Peter Geitmann ist lange zur See gefahren. Er kennt deshalb den Mythos des gestandenen Seemanns, der mit seinen breiten Schultern alles ertragen kann. „Seeleute, die sich für den Beruf entscheiden, wissen natürlich, worauf sie sich einlassen“, räumt Geitmann ein, der inzwischen Schifffahrtssekretär der Gewerkschaft ver.di ist.
Aber von ihnen werde oft mehr abverlangt, als sie seelisch verkraften könnten. Sie sind mehrere Monate am Stück unterwegs, arbeiten an sieben Tagen die Woche täglich mindestens zehn Stunden, sind immer abrufbar, haben kaum Kontaktmöglichkeiten zu ihren Familien und leben auf engstem Raum mit Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammen. „Man kann nicht zur Entspannung ins Kino oder ein Bier trinken gehen“, so Geitmann.
„Das Bordleben bedeutet eine Extremsituation“, sagt auch Manuel Burkert. „Gerade wenn man jung ist und noch nicht so häufig von Zuhause weg war.“ Der Arzt berät über Funk von Cuxhaven aus männliche und weiblich Seeleute, die auf den Weltmeeren unterwegs sind. Drei Mal musste der Mediziner schon Psychosen diagnostizieren, ausgelöst durch den Schiffsalltag. „Das kommt aber nur ganz selten vor“, betont Burkert.
Typisch sind dagegen Symp tome, für die der Arzt an Land in der Regel nicht angefunkt wird. Die Studie zeigt, dass die Betroffenen ihren Stress an Bord durch zu viel ungesundes Essen und vermehrtes Rauchen kompensieren. In schlimmeren Fällen kommt es zu Gemütsschwankungen bis hin zu Depressionen und Schlafstörungen. Viele Seeleute leiden unter chronischer Müdigkeit, wodurch schneller Unfälle passieren.
Das zeigte sich auch bei der ersten Augensprechstunde der Hilfsorganisation Mehrblick in Kooperation mit der Seemannsmission im Hamburger Hafen. „Wir hatten einen Riesenzulauf“, erzählt die Hamburger Diakonin Maike Puchert. Viele Seeleute dachten, sie hätten einen Sehfehler, weil sie unter Lidzucken und tränenden Augen litten. Tatsächlich waren es Symptome von Erschöpfung.
„Vielen Crew-Mitgliedern steht die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben“, sagt auch Seemannspastor Gerke, der im Bremerhavener Überseehafen regelmäßig Bordbesuche macht. Denn der Schiffsbetrieb hat immer Vorrang. „Es verändert jemanden, wenn er lange Zeit auf See ist, einen eingeschränkten Radius hat und wenig selbst gestalten kann“, betont Gerke. Die Besatzungsmitglieder gewöhnten sich daran, auf kleinstem Raum zu leben, würden lethargisch und ängstlich neuen Situationen gegenüber. So blieben sie in Häfen selbst bei längeren Liegezeiten lieber an Bord.
Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass sich ein preisgünstiger Internetzugang, möglichst auf der eigenen Kabine, positiv auf die Psyche der Seeleute auswirken könnte. FBi/dpa