Was wird aus der Reederei Hamburg Süd?

Auch die 333,20 Meter lange „Cap San Augustin“ (9814 TEU) gehört zur Hamburg-Süd-Flotte, Foto: Hasenpusch
Meinungsverschiedenheiten gibt es in den besten Familien. Wenn es aber um die Zukunft eines Milliarden-Unternehmens mit der Traditionsreederei Hamburg Süd geht, kann das zum Problem werden. Bei Oetker in Bielefeld wird ein neuer Konzern-Chef gesucht – bislang ohne Erfolg.
Bei der Suche nach dem Top-Manager an der Spitze des Familienunternehmens stockt es schon länger. Offiziell gibt es keine Entscheidung, lässt Oetker mitteilen. Und damit bleibt auch weiter offen, was aus der Hamburg Süd wird. Immerhin hat die Reederei mit rund 50 Prozent den größten Anteil am Gesamtumsatz des Konzerns (12,2 Milliarden Euro). Doch die Schifffahrt befindet sich seit Jahren in der Krise. Das belastet auch die Hamburg Süd. Unter anderem dar um wird von interessierten Kreisen und Branchenexperten zunehmend ein Verkauf an den dänischen Marktführer Maersk oder eine chinesische Reederei ins Gespräch gebracht. Offiziell nimmt Hamburg Süd dazu keine Stellung.
Dafür werden aber die Vorzüge des 1871 gegründeten Schifffahrtsunternehmens mit rund 130 Containerfrachtern, einer Stellplatzkapazität von über 600.000 TEU und rund 50 Liniendiensten herausgestellt. Insbesondere wenn damit das gute Image unterstrichen werden kann. So ist die Hamburg Süd kürzlich von EcoVadis, einem Netzwerk für die Nachhaltigkeit von Lieferketten, nach einer im Juli 2016 abgeschlossenen Bewertung mit dem höchstmöglichen Rating „Gold“ ausgezeichnet worden.
Die von den unabhängigen Nachhaltigkeitsexperten von EcoVadis ausgestellte Scorecard bescheinigt, dass die Hamburg Süd ein fortschrittliches Nachhaltigkeitsmanagement etabliert habe. Die Grundlage bildete eine ausführliche Befragung der Reedereigruppe in vier der Corporate Social Responsibilty (CSR) und der Nachhaltigkeit zuzurechnenden Themenfeldern: „Umwelt“, „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte“, „Faire Geschäftspraktiken“ sowie „Nachhaltiger Einkauf“.
In allen Bereichen wurde die Hamburg Süd überdurchschnittlich gut bewertet. Bei „Umwelt“ setzt die Hamburg Süd mit der hohen Bewertung von 90 Punkten sogar eine neue Bestmarke innerhalb des Industriesektors „See- und Wassertransporte“. Besonders wichtige Aspekte bei der Bewertung sind der Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen. Hier hat die Hamburg Süd bereits deutliche Erfolge beim Erreichen ihres selbst auferlegten Umweltziels verzeichnet, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 45 Prozent zu reduzieren. Bis zum Ende des Jahres 2015 erzielte sie eine Reduzierung von knapp 35 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2009.
Zuvor war die Hamburg Süd mit „Ocean Supplier of the Year“ von CEVA Logistics für Professionalität und hohe Serviceorientierung ausgezeichnet worden.
Doch das änderte bisher nichts an der offenen Nachfolge-Frage, an der die Oetker-Erben seit Jahren tüfteln. Rudolf-August Oetker, der Enkel des Firmengründers, hinterließ bei seinem Tod 2007 acht Erben aus drei Ehen. Seine Kinder erblickten von 1940 bis 1979 das Licht der Welt. Zwischen den Halbgeschwistern liegen zum Teil fast 40 Jahre Lebenserfahrung.
Ende 2016 muss Richard Oet ker (4. Kind aus der 2. Ehe) die Konzernleitung laut Statut mit 65 Jahren aufgeben. Bereits 2010, als er das Ruder an der Spitze übernahm, waren sich die Familienstämme nicht einig. Er, in der Öffentlichkeit seit 1976 bekannt als das Entführungsopfer von Dieter Zlof, galt vor sechs Jahren als Puffer zwischen den Generationen und verhinderte Alfred Oetker (1. Kind aus 3. Ehe) an der Spitze.
Wer das Rennen machen soll, dazu äußert sich niemand offiziell. Ein mit viel Macht ausgestatteter Beirat muss Vorschläge liefern. Um das Unternehmen vor Streitereien zu schützen, kommt eine Mehrheit der Mitglieder von außen wie etwa der Lufthansa-Chef Carsten Spohr.
„Dieser Beirat aber kann nicht gegen den Willen der Stämme entscheiden“, sagt ein Unternehmens-Kenner. Deshalb laufe seit Monaten eine Art Pendel-Diplomatie. Zuletzt hatte der Beirat im September getagt. Der nächste Termin ist im Dezember. „Zu beachten ist, wer beim vergangenen Treffen eben nicht für die Konzernspitze vorgeschlagen wurde“, heißt es in Firmenkreisen.
Trio mit Ottmar Gast an der Spitze des Konzerns
Der Clou: Die September-Entscheidung gleicht einem Schachzug, um Zeit zu gewinnen. Richard Oetker, bislang Chef des Konzerns wie auch der Lebensmittelsparte, zieht sich zwar von der Spitze zurück. Für die Nahrungsmittelsparte aber bleibt er auch nach Erreichen der Altersgrenze überraschend weiter zuständig. Mit ihm bilden bislang Finanzchef Dr. Albert Christmann und der Hamburg-Süd-Chef Dr. Ottmar Gast ein Trio an der Spitze des Konzerns. Mit der Entscheidung des Beirates im September wird aus dem Trio jetzt ab 2017 ein Duo.
Spekulationen, dass Christmann als familienfremder Manager für Richard Oetker an die Spitze rückt, gibt es schon seit Jahren. Als schwere Bürde gilt eine Millionen-Kartellstrafe aus seiner Zeit bei der Radeberger-Gruppe. Christmann soll beteiligt gewesen sein an Preisabsprachen auf dem deutschen Biermarkt. Der Manager bestreitet ein Mitwissen. Am Oberlandesgericht Düsseldorf ist eine Klage gegen die Strafe anhängig. Bei August Oetker (1. Kind aus 2. Ehe), dem Vorsitzenden des Beirates, wie bei Richard Oetker genießt Christmann allerdings hohes Ansehen.
„Beworben habe ich mich nicht“, sagte Christmann im Juni zur Nachfolgefrage. Bewerben müsste er sich aber wohl kaum. Er würde wohl gefragt. Ein Dementi war das somit nicht.
Der Streit der Halbgeschwister dreht sich um die Unternehmensstrategie und Eitelkeiten. Die Älteren trauen Alfred und Carl Ferdinand (2. Kind aus 2. Ehe) den Topjob nicht zu. Das seit Jahren zitierte Credo lautet: „Bei guter Leistung kann es auch ein Oetker sein.“ Muss aber nicht. Neben dem Personal steht der Streit um die Strategie: Altes bewahren oder immer wieder auf den Prüfstand stellen? Das aktuelle Management neigt zum Prüfstand.
In diesem Streit sieht Prof. Nadine Kammerlander kein Grundsatzproblem. Die Wissenschaftlerin leitet den Lehrstuhl für Familienunternehmen an der Otto Beis heim School of Management bei Koblenz. „Konflikte bringen das Unternehmen weiter, wenn Argumente ausgetauscht werden“, sagt Kammerlander. So ein Streit dürfe sich aber nicht jahrelang aufstauen und persönlich werden. „Schwierig wird es, wenn es klassische Stammesfehden gibt.“
Auch die Belegschaft will wissen, wie es weitergeht. „Kein Mitarbeiter hat jetzt wegen dieser Frage schlaflose Nächte“, sagt Gabriele Böhm von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Aber die Familie habe schon die Pflicht, sich zu äußern.
Bekannter Markenanbieter
Mit der Tochter Radeberger Gruppe ist Oetker Marktführer auf dem deutschen Biermarkt. Zu den mehr als 40 Marken gehören Radeberger, Jever, Schöfferhofer und Clausthaler. Die Tochter Henkell stellt Sekt und Spirituosen her (Fürst von Metternich, Wodka Gorbatschow). Das Bankhaus Lampe, Luxushotels und eine Chemiefabrik gehören ebenfalls zu den 417 Firmen der Oetker-Gruppe. Gegründet wurde das Unternehmen vor 125 Jahren in Bielefeld. FBi/dpa