Weltweit 85 Totalverluste in der Schifffahrt

Die „TS Taipei“ war am 10. März 2016 auf dem Weg von Hongkong zum taiwanischen Hafen Keelung auf Grund gelaufen und brach im Sturm in zwei Teile, Foto: L. Appino

Die „Modern Express“: 2016 einer der größten Totalverluste, Foto: Marine Nationale

Mehr als ein Viertel der weltweiten Totalverluste von Schiffen (23) ereignete sich im vergangenen Jahr in Südostasien, Karte: Allianz Global Corporate & Specialty
In der Schifffahrtsbranche sind 2016 weltweit insgesamt 85 Totalverluste gemeldet worden.
Das entspricht einem Rückgang von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr (101), teilte die Allianz-Spezialversicherungsgesellschaft AGCS bei der Vorlage einer neuen Studie am Dienstag in München mit. Damit war 2016 nach vorläufigen Zahlen (Stand März 2017) das sicherste Jahr für die Schifffahrt – mit den geringsten Totalschäden seit einem Jahrzehnt. Die Zahl der Schifffahrtsunglücke mit reparablen Schäden reduzierte sich laut der AGCS-Untersuchung, die sich auf Meldungen von/an Schiffen mit über 100.000 Bruttoregistertonnen konzentriert, mit 2611 Unfällen ebenfalls leicht um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr.
„Obwohl der langfristige Abwärtstrend bei den Totalschäden ermutigend ist, gibt es keinen Anlass sich zurückzulehnen. Vielmehr ist weiter Wachsamkeit notwendig“, betont Baptiste Ossena, Global Product Leader Hull & Marine Liabilities bei der AGCS. „Die Schifffahrtsbranche ist mit steigendem regulatorischen Druck, schwindenden Margen und neuen Risiken konfrontiert.“ So werden Umweltprüfungen immer weiter verschärft und führen zu Rekordstrafen bei durch Schiffe verursachter Umweltverschmutzung. Die neuen Regelungen für das Management von Ballastwasser, die 2017 in Kraft treten, werden zwar in der Branche befürwortet, aber die Kosten für ihre Einhaltung könnten die jetzt schon unter Druck stehenden Reedereien zusätzlich belasten. Politische Risiken steigen in bestimmten Regionen wie dem Jemen und dem Südchinesischen Meer, was sich möglicherweise auf die Schifffahrtsrouten auswirken könnte. Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedrohung durch Cyberangriffe auf hoher See.
2016 ereignete sich mehr als ein Viertel der Totalschäden in der Seefahrt (23) in Südchina, Indochina und im Bereich Indonesien und Philippinen – dem Top-Hotspot des vergangenen Jahrzehnts. Die Zahl der Totalschäden blieb unverändert, war aber immer noch fast doppelt so hoch wie im östlichen Mittelmeer oder im Schwarzen Meer (12), wo Totalverluste am zweithäufigsten sind. Gestiegen ist die Zahl der Totalschäden in Japan, Korea und Nordchina, an der ostafrikanischen Küste, im südlichen Atlantik und der Ostküste Südamerikas sowie in den Regionen der kanadischen Arktis und der Küste Alaskas.
Frachter (30) machten mehr als ein Drittel sämtlicher Schiffsverluste aus; bei Passagierfähren war eine leichte Zunahme vor allem im Mittelmeer und Süd ost asien zu beobachten (8). Unterdurchschnittliche Standards bleiben in einigen Teilen Asiens ein Problem; dazu zählen unzureichende Sicherheitsstandards oder Wartung, mangelhafte Umsetzung von Vorschriften und die Überbesetzung mit Passagieren.
Mit über 50 Prozent war Schiffsuntergang – oft in Verbindung mit schwerer See – die häufigste Ursache weltweiter Totalschäden in der Schifffahrt. Hingegen ging mehr als ein Drittel der Schiffsunglücke auf Maschinenschäden zurück. Vor allem im östlichen Mittelmeer und im Schwarzen Meer nahmen Schiffsunfälle 2016 zu (plus 16 Prozent) und übertrafen erstmals die Britischen Inseln als den Unfallschwerpunkt im vergangenen Jahrzehnt. Piraterie ging weltweit im Vergleich zum Vorjahr zurück; das International Maritime Bureau (IMB) registrierte 191 Vorfälle in 2016, rund 20 Prozent weniger als noch 2015. Andererseits haben sich laut IMB die Fälle von Crew-Kidnapping mit Lösegeldforderungen gegenüber dem Vorjahr verdreifacht.
Der Zusammenbruch einer der weltgrößten Reedereien, der Hanjin Shipping, unterstreicht die wirtschaftliche Notlage der Branche infolge von Überkapazitäten und fallenden Frachtraten. Insolvenzen nehmen zu, und angesichts hoher Schuldenstände und schwacher Erträge versuchen Reedereien, die Kosten für Wartung, Schulung oder Besatzungsstärke zu reduzieren. „Ein sinkender Ausbildungsstand und unzureichende Wartung von Schiffen können das Sicherheitsrisiko steigern, insbesondere wenn Schiffseigner weniger erfahrene und geschulte Besatzungsmitglieder einstellen oder die Wartungsintervalle so weit wie möglich strecken, um auf diese Weise Geld zu sparen“, erläutert Volker Dierks, der bei AGCS Zentral- und Osteuropa für Schiffsversicherungen verantwortlich ist. Laut AGCS-Analysen ist menschliches Versagen wertmäßig für etwa 75 Prozent von 15.000 untersuchten Seehaftpflichtschäden in Höhe von über 1,6 Milliarden US-Dollar von 2011 bis 2016 verantwortlich.
„Die Schiffseigner müssen Inspektions- und Wartungsvorschriften weiterhin konsequent und kontinuierlich umsetzen“, fordert Dierks.
Künftig könnte die Schifffahrt ähnlich wie die Automobilbranche von Telematik profitieren. Daten von Schiffsdatenschreibern werden bereits jetzt zur Unfallermittlung genutzt, aber es ließen sich auch wichtige Erkenntnisse mithilfe der Analyse täglicher Aktivitäten sowie des Verhaltens und der Entscheidungsfindung der Besatzung bei Beinahe-Unfällen gewinnen.
Auch die Schifffahrt ist durch Cyberrisiken bedroht. Bisher zielen die meisten Angreifer allerdings eher auf Daten und Systeme von Reedereien ab, als darauf, ein Schiff unter ihre Kontrolle zu bringen. „Da die Schifffahrt bisher von großangelegten Cyberattacken weitgehend verschont geblieben ist, wird die Gefahr noch unterschätzt“, so Kapitän Rahul Khanna, Global Head of Marine Risk Consulting bei der AGCS. Die IT-Sicherheit solle jedoch keineswegs vernachlässigt werden. Würde es Hackern gelingen, ein großes Containerschiff auf einer strategisch wichtigen Route unter ihre Kontrolle zu bringen, könnten sie die Durchfahrt über längere Zeit blockieren und so erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen.
Die AGCS Safety & Shipping Review thematisiert noch eine Reihe weiterer Risiken für die Schifffahrt:
▪ Baulich intakte Schiffe: Angesichts etlicher Unglücke und Verluste durch Brüche, insbesondere bei umgebauten Schiffen, ist dies weiterhin ein Thema.
▪ Feuer auf See: Die Zahl der Brände auf Containerschiffen in der Vergangenheit führte zu der Frage, ob die Sicherheitssysteme mit der Schiffsgröße Schritt gehalten haben. Ungenau ausgewiesene Fracht kann das Problem noch verschärfen.
▪ Ein möglicher Großschaden in Höhe von vier Milliarden US-Dollar: Größere Schiffe, steigende Kosten für die Beseitigung von Wracks, Umweltbewusstsein, höhere Haftung und strengere Regulierung sorgen dafür, dass ein solcher Fall künftig nicht mehr auszuschließen ist.
Weltweit operiert die AGCS in 30 Ländern mit eigenen Einheiten und in mehr als 160 Ländern über das Netzwerk der Allianz Gruppe und andere Partner. 2016 beschäftigte sie über 5000 Mitarbeiter und lieferte Versicherungen für mehr als die Hälfte der Fortune Global 500-Unternehmen; sie zeichnete weltweit insgesamt 7,6 Milliarden Euro Bruttoprämien pro Jahr. FBi