Kreuzfahrtbranche spürt weiter kräftigen Rückenwind

Erfreut sich weiterhin eines großen Zuspruchs: die 1973 gebaute „Albatros“ (800 Passagiere)

Harry Sommer

Ab 2018 für den chinesischen Markt bestimmt: die „MSC Splendida“, hier im Geirangerfjord, Fotos: Arndt

Karl J. Pojer (Fotos: Arndt)

Johannes Zurnieden

Michael Zengerle
Während die im Seegüterverkehr tätigen Reedereien weiterhin unter schwierigen Marktbedingungen leiden, sieht es im globalen Cruising-Sektor sehr positiv aus. Und das bleibt auch so.
Davon jedenfalls ist Karl J. Pojer, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Hapag-Lloyd Cruises und Chairman des Leadership Council der deutschen Niederlassung des internationalen Kreuzfahrtverbandes CLIA, überzeugt. Pojer sprach auf dem am Mittwoch in Hamburg zum 6. Mal in Folge veranstalteten Kreuzfahrtkongress vor rund 180 aus nah und fern angereisten Teilnehmern. Kongressausrichter ist das Management-Forum innerhalb der Verlagsgruppe „Handelsblatt“. Wörtlich stellte Pojer fest: „Ein Ende des Kreuzfahrtbooms ist noch nicht in Sicht.“ Das Interesse an dieser Form des Reisens wachse weltweit, im Besonderen auch in Deutschland. So gilt die Bundesrepublik inzwischen als zweitwichtigster Kreuzfahrtmarkt, direkt nach den USA. Doch auch andere Regionen entdecken das Cruising, allen voran China, wo inzwischen eine starke Mittelschicht entstehe, die über ein Einkommen verfüge, dass ihr viel Konsumspielraum ermögliche.
Trotz einer positiven Grundstimmung in der Kreuzfahrtindustrie und einer gemeinhin als günstig bewerteten Entwicklungsperspektive dürfe sich die Branche nicht zurücklehnen, sondern müsse sich ordentlich ins Zeug legen. Denn es gebe vielfältige Herausforderungen. Das Spektrum reiche von den Abfertigungsbedingungen in den Häfen über die wachsende Bedeutung des Umweltschutzes, die allgemeine Schiffsgrößenentwicklung bis hin zu negativen Ausstrahlungen als Folge politischer Unruhen oder Instabilitäten in interessanten Regionen oder Ländern. Während die Reedereien bei der Entwicklung von Zielmärkten mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand und umfassenden operativen Vorbereitungen beschäftigt seien, könnten Unruhen oder eine instabile Sicherheitslage sehr kurzfristig eintreten. Mit der Folge, dass die um die Sicherheit ihrer Seereisenden und der Crew bemühten Reedereien sehr spontan über operative Veränderungen entscheiden, zum Beispiel mit dem Anlauf neuer, alternativer Häfen.
Zu den Herausforderungen der Branche zählte Pojer auch die Frage nach der optimalen Schiffsgröße und einer entsprechenden Passagierkapazität. Er stelle sich die Frage, ob all das, was aus technischer Sicht machbar sei, am Ende auch sinnvoll sei. Was die CLIA-Arbeit als Ganzes betrifft, setzt sich Pojer, der das Amt in diesem Verband seit dem Frühjahr 2016 bekleidet, dafür ein, „die Bekanntheit von CLIA in Deutschland zu stärken“ und zugleich auch den Mitgliederkreis nachhaltig zu erweitern.
Genaue Kundenkenntnis notwendig
Harry Sommer, Executive Vice President International Business bei Norwegian Cruise Line (NCL), hob die große Bedeutung einer systematischen Markterkundung für Kreuzfahrtreedereien hervor. Einmal mehr gelte: Je genauer die Cruise-Anbieter die Reisebedürfnisse der verschiedenen Nationalitäten und Mentalitäten kennen würden, desto größer die Marktchancen. Denn „den“ Kreuzfahrtreisenden gebe es nicht. Auch für NCL ist und bleibt Deutschland in Europa ein hoch interessanter Markt. Stichwort Europa: Sommer berichtete, dass die Reederei derzeit mit fünf Schiffen den wichtigen europäischen Markt abdecke. Beim Deutschland-Begriff hat auch ein Unternehmen wie NCL eine räumliche Erweiterung vollzogen, und zwar dahingehend, dass von einem deutschsprachigen Markt gesprochen wird. Zu ihm gehören neben der Bundesrepublik auch Österreich und die (deutschsprachige) Schweiz.
Unter den deutschen auf das Cruise-Segment ausgerichteten Häfen hat wiederum Hamburg für NCL einen besonderen Stellenwert. Auch deshalb, weil sich der Elbehafen dank eines sehr kreuzfahrtaffinen Umfeldes als ideale Plattform für die Präsentation neuer Schiffe erwiesen habe. Das werde sich auch 2017 fortsetzen, wenn NCL im Mai zunächst die „Norwegian Joy“ (3900 Passagiere) sowie wenige Monate später die „Norwegian Bliss“ (rund 4000 Passagiere) im Markt präsentieren werde. Beide Schiffe entstehen bei der Papenburger Meyer Werft, die auch für NCL so etwas wie eine Stammwerft geworden ist. Um sich auf die verschiedenen Kundengruppen noch besser einstellen zu können, verfolgt NCL eine Mehrmarken-Strategie, vereint unter einer Dachgesellschaft. Auch NCL sieht im chinesischen Markt „einzigartige Chancen“. Mit der im Bau befindlichen „Norwegian Joy“ werde die Reederei dann ab Sommer kommenden Jahres über ein Schiff verfügen, das nicht nur ganzjährig diesen Wachstumsmarkt bedienen wird, sondern das von vornherein auf den chinesischen Markt zugeschnitten ist. Denn, das ist die Erfahrung aller Cruise-Anbieter, die chinesischen Kreuzfahrtkunden ticken anders als beispielsweise Europäer.
Das konnte auch Michael Zengerle, Geschäftsführer der MSC Kreuzfahrten GmbH mit Sitz in München, bestätigen. Er war kurzfristig für den erkrankten Andrea Gangale, Chief Product Officer bei MSC Cruises SA, eingesprungen. Das Unternehmen wird ab 2018 mit zwei permanent in China verankerten Schiffen präsent sein, und zwar außer der bereits seit Mai dieses Jahres vor Ort befindlichen „MSC Lirica“ (rund 1600 Passagiere) ab 2018 auch mit der „MSC Splendida“ (rund 3300 Passagiere), die auch in Nordwesteuropa oder im Mittelmeer bestens bekannt ist und unter anderem mit Nordland-Fahrten erfolgreich im Markt ist.
Besondere Ansprüche in China
Die für China bestimmten Schiffe müssen vor ihrem Einsatz in vielerlei Hinsicht auf diesen Markt und seine besonderen Ansprüche konfiguriert werden. Auch die Crew-Zusammensetzung muss entsprechend gestaltet sein. Die Seereisenden aus dem Reich der Mitte erwarten viele hochwertige Shopping-Möglichkeiten an Bord, sie haben besondere Ansprüche an die Verpflegung, sie haben ein großes Faible für Kasinos und können maximal nur bis zu sechs Tage unterwegs sein, so Zengerle.
Während die maßgeblichen Cruise-Reeder nicht nur immer größere Schiffe in Fahrt bringen, die zugleich mit immer mehr Attraktionen ausgerüstet sind, steht ein Anbieter wie Phoenix-Reisen aus Bonn für einen ganz anderen Typus von Cruise-Reisenden, berichtete Johannes Zurnieden, Gründer (1973) und geschäftsführender Gesellschafter des mittelständischen Unternehmens (Umsatz 2015: 300 Millionen Euro). Es sind jene Cruise-Gäste, die mit einer Seereise vor allem auch eine „Seh“-Fahrt sowie viel Ruhe und Entspannung verbinden. Zudem will diese Zielgruppe ein Höchstmaß an Qualität und setzt auf Bewährtes. Dieser Anspruch spiegelt sich auch in der Flottenstruktur wider. Es sind vergleichsweise „kleine“ Schiffe und auch solche, die bereits längere Zeit in Fahrt sind – allerdings technisch stets auf dem neuesten Stand. So gehören zur aktuellen Kernflotte die 1973 gebaute „Albatros“, die „Amadea“ (1991), die „Artania“ (1982) und die „Deutschland“ (1998). Die Schiffe erfreuten sich jedenfalls im Markt eines großen Zuspruchs, was sich schon jetzt in entsprechenden Buchungszahlen für 2017 widerspiegle, so Zurnieden, der zugleich auch Vizepräsident im DRV (Deutscher Reiseverband) ist. EHA