„Marco Polo“ wird zu Alteisen

In diesen Tagen endet ein langes Schiffsleben auf einem Strandabschnitt im indischen Alang, der für das sogenannte „Beachen“ von ausgedienten Seeschiffen aller Art bestimmt ist. Einmal angelandet, treten dann die Schneidbrenner in Aktion.

Genau dieses Los erwartet jetzt auch den Passagierschiffs-Klassiker „Marco Polo“ (IMO 6417097). Das „Aus“ für den Cruise-Oldie erfuhr dabei eine Beschleunigung durch die Corona-Pandemie, die der weltweiten Kreuzschifffahrt bis heute massiv zusetzt. Eine der Folgen besteht darin, dass die verschiedenen Reedereien ihre Bestandsflotten einer kritischen Würdigung unterziehen. Ältere Tonnage wird damit aus dem Markt genommen, um so „Luft“ zum Überleben für die jüngeren, in der Regel auch komfortableren Schiffe zu schaffen.

Die rund 176 Meter lange und 24 Meter breite „Marco Polo“ wurde 1965 in der ehemaligen DDR von der damiligen Mathias-Thesen-Werft (MTW) in Wismar, heute Teil von MV Werften, unter der Baunummer 126 als Zweiklassenschiff „Alexandr Puschkin“ gebaut und dann an die Baltic Shipping Co. (BSC) in Leningrad (heute: St. Petersburg) abgeliefert.

Es war das zweite Schiff einer Serie von fünf fast baugleichen Einheiten aus der so genannten Ivan-Franko-Klasse, die für die (damalige) UdSSR entstanden. Zu dieser Serie gehörten die 1963 erbaute „Ivan Franko“, die 1967 erbaute „Taras Shevchenko“, die ein Jahr später abgelieferte „Shota Rustaveli“ und die dann erst 1973 erbaute „Mikhail Lermontov“. Namensgeber für alle diese Schiffe waren bedeutende russische, georgische und ukrainische Schriftsteller. Als einziges Schiff dieser Serie blieb die „Marco Polo“ bis 2020 noch in Fahrt.

Zum Zeitpunkt der Ablieferung konnte die „Alexandr Puschkin“ in der ersten Klasse 130 Passagiere aufnehmen, während es in der Touristenklasse bis zu 620 Seereisende sein konnten.

Die Schiffe, inmitten des Kalten Krieges erbaut, waren indes von Anfang an auch so konzpiert, dass sie bei einem möglichen militärischen Konflikt auch als große und schnelle Truppentransporter Verwendung gefunden hätten. Der Hauptantrieb war entsprechend robust und leistungsstark ausgelegt. Eingebaut wurden Schiffsdieselmotoren der polnischen Ciegielski-Werke in Posen vom Typ 7 RD 76 (Lizenz Sulzer) mit je 7723 kW Leistung. Ihre Kraft wirkte auf zwei Festpropeller. Die Reisegeschwindigkeit lag bei bis zu 20 Knoten (Kn).

Neben klassischen Kreuzfahrten kam die mit einem eisverstärkten Rumpf gebaute „Alexandr Puschkin“ als einer der letzten Transatlantik-Liner im Passagierdienst auf der Kanada-Linie zwischen Leningrad und Quebec und Montreal am St.-Lorenz-Strom zum Einsatz.

Später wurde als weiterer Zustieghafen das dänische Kopenhagen in diesen Liniendienst hinzugefügt. 1967 erfolgte dann der Wechsel von Kopenhagen nach Bremerhaven.

Die „Alexandr Puschkin“ befuhr in den Folgejahrzehnten verschiedene Regionen und diente unterschiedlichen Auftraggebern.

Der Amerikaner Gerry Herrod erwarb 1991 das Schiff und ließ es in zwei Jahren für rund 75 Millionen US Dollar zum Flaggschiff für die von ihm gegründete Orient Lines komplett umbauen. Zugleich erhielt das Schiff einen neuen Namen: „Marco Polo“.

1998 übernahm die Norwegian Cruise Line (NCL) die Orient Lines, verkaufte das Passagiershiff dann 2007 an die griechische Global Maritime. Diese vercharterte die durch ihre klassische Linienführung auffallende „Marco Polo“ an die ehemalige Transocean Tours in Bremen. Die Charter stand unter keinem glücklichen Stern: Im Zuge der Insolvenz von Transocean im Jahr 2009 musste der Chartervertrag vorzeitig beendet werden.

Seit 2010 war der Cruise-Oldie sehr erfolgreich in Vollcharter für Cruise & Maritme Voyages auf dem britischen Markt unterwegs. Auch in den norddeutschen Kreuzfahrthäfen war die „Marco Polo“ ein häufiger und zudem gern gesehener Gast. EHA/CE

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