„Vaterland“ war gestern – „Mein Schiff 3“ ist heute

In Cuxhaven haben sie genau nachgerechnet: Mehr als 100 Jahre lang galt der Luxusliner „Vaterland“ der ehemaligen Reederei Hapag (heute: Hapag-Lloyd AG) als größtes jemals im Elbmündungshafen abgefertigtes Passagierschiff.

289,5 Meter war der noch kurz vor dem Beginn des 1. Weltkrieges (1914) in Dienst gestellte, zuvor auf der Werft Blohm & Voss (heute: Blohm + Voss) gebaute Ozeanriese der „Imperator“-Klasse lang.

Seit dem 28. April 2020 aber hält jetzt der sechs Jahre alte Cruise-Liner „Mein Schiff 3“ von TUI Cruises diesen Größen- und damit auch Längenrekord. Das von der Meyer-Werft-Gruppe gebaute Schiff kommt auf rund 295 Meter und ist mit 99.526 BRZ vermessen.

So weit das nüchterne Zahlenwerk, hinter dem ein durchaus emotionaler Anlass steht: Denn dass es zu diesem außergewöhnlichen, noch vor wenigen Wochen kaum vorstellbaren Anlauf überhaupt kommen konnte, ist den geradezu dramatischen Abläufen in der globalen Kreuzfahrt industrie als Folge der Corona- Pandemie geschuldet.

Was weder durch den Branchenverband Clia noch durch die einzelnen Reedereien so eingeschätzt und damit auch erwartet wurde, ist jetzt brutale Wirklichkeit geworden: Die bislang erfolgsverwöhnte Branche muss um das Überleben und damit auch um den langfristigen Fortbestand ihres Geschäftsmodells fürchten. Denn als Folge von Covid-19 können beziehungsweise dürfen bis auf Weiteres keine Reisen mehr stattfinden.

Die Reedereien sind damit gezwungen, nachdem die laufenden Reisen abgeschlossen wurden, ihre Schiffe und Besatzungen im Wortsinne in den sicheren Hafen zu bringen. TUI Cruises bezog in diese Überlegungen auch das bislang eher wenig beachtete Cuxhaven mit ein – mit großem Erfolg, wie der THB aus Branchenkreisen erfuhr. Nach der kürzlich durchgeführten ersten, groß angelegten erfolgreichen Personalrückführung auf den Kanarischen Inseln folgte jetzt Teil 2 dieses logistischen Kraftaktes.

Rund 3000 Bordmitarbeiter aus allen Teilen der Welt, vereint auf der „Mein Schiff 3“, sollen bis voraussichtlich Anfang Mai über Cuxhaven die Rückreise in ihre Heimatländer antreten können. Der gesamte Ablauf war in Cuxhaven, so vernahm der THB aus berufenem Munde, akribisch vorbereitet worden. „Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen, von der Bundespolizei, dem hafenärztlichen Dienst, den Gesundheitsämtern, der Hafenverwaltung, der Reedereien und vielen weiteren Partnern verlief ausgezeichnet“, notierte der THB.

Die gesamte Operation erfolgte unter schärfsten Sicherheitsauflagen. So hatte die Polizei beispielsweise den Ausschiffungsort, das bekannte Steubenhöft plus der angrenzenden historischen Hapag-Hallen, weiträumig abgesperrt. Zudem erfolgte eine genaue Personen- und auch Gesundheitskontrolle all derjenigen, die bereits am ersten Tag nach Schiffsankunft von Bord gehen und die Rückreise antreten durften. Von Bord gehen durfte zudem nur, wer – gerade bei den Mitarbeitern aus Asien – ein Flugticket hatte. Die Mitarbeiter wurden dann mit eigens dafür gecharterten Bussen zu verschiedenen Flughäfen in Norddeutschland befördert, um von dort die Weiterreise anzutreten. Über der ganzen Operation stand ein großes Ziel: Alles so geräuschlos wie möglich ablaufen zu lassen. Und trotzdem: Diejenigen, die bereits von Bord gehen durften, waren zwar in gewisser Weise erleichtert, ein klares Ziel, nämlich die Heimat, vor Augen zu haben. Zugleich aber war es auch ein Schritt, der gerade für viele Mitarbeiter aus Asien mit viel Ungewissheit verbunden ist. Die bange Frage vieler: Gibt es in wenigen Monaten wieder einen Job an Bord auf einem Kreuzfahrtschiff? „Normalerweise ist ja gerade von den Asiaten stets ein Lächeln auf dem Gesicht zu sehen. Doch dieses Mal habe ich durchweg in traurige Gesichter geschaut. Die Sorge des Einzelnen um die wirtschaftliche Zukunft war mit Händen zu greifen“, notierte der THB weiter.

In den kommenden Tagen sollen dann die Crew-Mitglieder nacheinander von Bord gehen, sobald die formellen Voraussetzungen erfüllt sind. Auch das findet statt: Das Schiff muss mit allen wichtigen Verbrauchsmaterialien versorgt werden, vom Bunker bis zum Toilettenpapier.

Wann ein Unternehmen wie TUI Cruises wieder alle Kreuzfahrtschiffe auf eine Seereise schicken wird, ist derzeit noch nicht klar erkennbar. Bis Ende Mai sind jedenfalls erst mal alle Touren annulliert.

Und Cuxhaven? Der Elbmündungshafen verbindet mit dem erfolgreichen Projekt „Mein Schiff 3“ die Hoffnung, als potenzieller Cruise-Standort von den Reedereien erkannt zu werden. Wie zu vernehmen ist, hat der Hafen bei TUI Cruises jedenfalls einen ganz dicken Stein im Brett.  EHA

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