NMK: Strenge Regulierung schwächt Flagge

THB:

Mit welchen Erwartungen geht der VDR in die Konferenz?

Ralf Nagel:

Wir erwarten zum einen, dass unserer Bitte um eine gleiche Unterstützung bei der Beschäftigung einheimischer Seeleute wie in anderen EU-Ländern vollständig aufgegriffen wird. Und zum anderen ersuchen wir um konkrete Hilfe bei der Einführung neuer zusätzlicher Technologien beim Umwelt- und Klimaschutz.

THB:

Kompletter Lohnsteuereinbehalt, Übernahme des Arbeitgeberanteils an den Sozialversicherungsbeiträgen der Besatzungsmitglieder, Lockerung der Schiffsbesetzungsverordnung – die Ziele sind klar formuliert. Beim Branchenforum im Vorfeld der Konferenz gab es von den Sozialpartnern bereits Reaktionen darauf. Hat Sie das ermutigt, alle Ziele durchsetzen zu können?

Nagel:

Es geht hier nicht dar um, ob wir etwas durchsetzen. Es geht darum, dass deutsche Seeleute Beschäftigung finden. In alle Fragen ist Bewegung gekommen. Es ist allen Partnern klar geworden, dass schnell und konsequent gehandelt werden muss. Wir wollen unseren Beitrag weiter leisten, brauchen dafür aber die erforderlichen Rahmenbedingungen. Die Wettbewerbswelt ist heute viel brutaler, als sie im Jahr 2003 bei den Verabredungen in Lübeck war.

THB:

Was können die Reedereien als Sozialpartner an konkreten Zusagen ins Maritime Bündnis einbringen?

Nagel:

Nur auf unseren Handelsschiffen kann technisches und nautisches Praxiswissen erworben werden. Mit den deutschen Seeleuten stellen wir das maritime Know-how zur Verfügung, das Lotsen, Häfen, Schifffahrtsverwaltung, die gesamte Schiffbau- und Zulieferindustrie und viele weitere Branchen für ihren wirtschaftlichen Erfolg brauchen. Mit den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen hätten wir eine gute Chance, den weiteren Abbau deutscher Seeleute zu bremsen. Das wäre ein großer Erfolg.

THB:

Der Politik geht es vor allem um feste Zusagen der Reeder für mehr Ausbildung und Beschäftigung. Was können Sie konkret anbieten?

Nagel:

Über die Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland und höhere Ausflaggungsgebühren fördern die Reeder seit Jahren die Aus- und Weiterbildung mit 30 Millionen Euro jährlich. Daran wollen wir festhalten. Trotz Krise haben wir die Zahl der Neueinsteiger bei weit über 400 stabil gehalten. Wir wollen! Der Beschäftigungsrückgang ist jedoch nur aufzuhalten, wenn die Kostennachteile tatsächlich und vollständig ausgeglichen werden.

THB:

Die Bundesregierung betonte beim Branchenforum, dass ihr die aktuell rund 200 Schiffe unter deutscher Flagge zu wenig sind. Wie viele deutsch geflaggte Handelsschiffe werden wir in abseh barer Zukunft sehen?

Nagel:

Es geht um die Zahl der deutschen Seeleute, die wir am Standort ausbilden und beschäftigen, nicht um das Flaggenzählen. Jeder, der die Tonnagesteuer nutzt, ist an den Standort gebunden, sorgt hier für Wertschöpfung, Arbeitsplätze an Land und auf See. Die deutsche Flagge wird wieder stärker, wenn sie wettbewerbsfähig ausgestaltet wird.

THB:

Sollte sich die Frage der Beschäftigung überhaupt noch an die Flagge knüpfen? Welche weiteren Lösungsansätze sind denkbar, um mehr deutsches Personal zu beschäftigen.

Nagel:

Wir haben die strengsten Vorgaben bei der Beschäftigung europäischer Seeleute auf den deutsch geflaggten Schiffen. Deshalb fahren bei uns im Schnitt die wenigsten einheimischen Seeleute. Bei unseren europäischen Nachbarn sind es wesentlich mehr. Warum? Weil dort schon lange erkannt ist, dass strengste Regulierung eine Flagge schwach macht – eine wirtschaftliche Ausgestaltung dagegen macht sie stark.

THB:

Energie sparen und Emissionsausstoß reduzieren sind wesentliche Aufgaben der Reeder. Welche staatlichen Maßnahmen können die Umsetzung der Branche flankieren?

Nagel:

Die Schifffahrt ist eine hochinnovative Branche. Am Beispiel von Flüssiggas als alternativem Brennstoff zeigt sich jedoch, dass Politik helfen muss, Marktbarrieren abzubauen. Die gesamte maritime Wirtschaft braucht für Forschung, Entwicklung und Anwendung neuer Technologien einen mit der Luftfahrt vergleichbaren Unterstützungsrahmen.

THB:

Die Modernisierung der Flotte erfordert Kapital. Nur ein Teil der Reeder kann die Anforderungen der Investoren auf dem Kapitalmarkt erfüllen. Wie kommen kleine und mittelständische Unternehmen an Kapital?

Nagel:

Selbst wenn Reedereien mit vernünftigen Konzepten und frischem Geld für eine Restrukturierung oder Neubauprojekte kommen, prallen sie häufig an Banken ab. Wir wissen, dass deren Spielraum sehr begrenzt ist. Deshalb wird es nur mit den Gesellschaftern der Finanzinstitute und dem Bund gelingen, die Schiffsfinanzierung als zentrales Element des maritimen Standorts in Deutschland zu halten. Finanzierung und seemännisches Wissen entscheiden wesentlich die Zukunft des maritimen Standorts.

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