Kampf gegen schwarze Schafe auf See
Aus Sorge vor neuen Anschlägen verschärft Europa seine Sicherheitsmaßnahmen. Meer und Küsten bleiben aber eine angreifbare „Hintertür“. Eine israelische Firma will für mehr Transparenz sorgen und spürt schwarze Schafe auf hoher See auf.
Ein Schiff ist im Mittelmeer unterwegs, auf seiner gewöhnlichen Route. Doch plötzlich ändert es seinen üblichen Kurs und vollzieht verdächtige Manöver. Damit gerät es sofort ins Fadenkreuz des israelischen Unternehmens Windward. Der Betrieb überwacht mit einem speziell entwickelten Programm rund um die Uhr Daten von rund 200.000 Schiffen weltweit.
„Europa hat eine rund 120.000 Kilometer lange Küste, die nur sehr schwer zu kontrollieren ist“, sagt Ami Daniel, der die Firma vor mehr als fünf Jahren gemeinsam mit Matan Peled gegründet hat. Kennengelernt haben sich die beiden bei ihrem Militärdienst als Marinesoldaten.
Im Meer konzentrierten sich die wirtschaftlichen Interessen vieler Akteure, die Frage der Sicherheit ist jedoch bislang eher stiefmütterlich behandelt worden, sagt Daniel. „Es ist jedermanns Anliegen, aber niemandes Problem.“
Sebastian Bruns, ein Experte für maritime Sicherheit von der Universität Kiel, sieht das ähnlich. Man kann sagen, „dass wir mehr über das Weltall wissen als über die See und die Tiefsee“. In Deutschland herrsche in Sicherheitsfragen noch eine Art „Seeblindheit“. Dabei gebe es durchaus einen Bedarf für eine größere Transparenz im Schiffsverkehr, weil die maritime Sicherheit sehr anfällig sei. „Man will schon wissen, wer fährt durch ein Seegebiet, wo kommen sie her, wo fahren sie hin.“
Eine allgemeine Verschärfung der internationalen Sicherheitsmaßnahmen im „Klima der Sorge“ seit den Anschlägen vom 11. September 2001 betreffe auch den maritimen Handel und Verkehr. „Die maritime Autobahn muss sicher sein, wir wollen wissen, was dort passiert.“ Es gebe erste regionale Ansätze für mehr Überwachung und auch Angebote von mehreren privaten Firmen.
Eine derart strukturierte Auswertung verfügbarer Daten wie bei Windward ist jedoch neu und lässt „riesige Erkenntnisse“ über den Schiffsverkehr zu. In Deutschland könnte dies etwa für Marine, Verteidigungsministerium, Hafenbetreiber in Hamburg, Kiel und Bremen sowie für Industrieverbände interessant sein, meint Bruns.
Im Mittelmeer sind viele Schiffe mit problematischer oder gefährlicher Fracht unterwegs, so Windward-Gründer Daniel. „Manchmal sind es Flüchtlinge, mal Schmuggelware, Bomben, Drogen oder geheime Technolo gie.“
Im Dezember haben nach Informationen der Firma rund 9000 Schiffe Europa besucht. Mehr als 5500 seien mit sogenannten Schattenflaggen unterwegs gewesen – käufliche Flaggen von Ländern wie Liberia oder Panama, die anders als etwa Deutschland kaum auf Sicherheitsvorkehrungen an Bord bestehen. „Man weiß in vielen Fällen gar nicht, wer wirklich hinter einer Firma steht.“
Anders als etwa bei Sicherheitskontrollen auf internationalen Flughäfen werden Schiffe in Häfen meist nur nach einem Hinweis genauer untersucht. Aus Furcht vor Terroranschlägen zur See oder in Hafenanlagen wurde 2002 ein „internationaler Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen“ beschlossen. Es ist jedoch unmöglich, jeden Container einzeln zu untersuchen, betont Bruns.
Allgemeine Informationen über Schiffe sind oft wenig hilfreich dabei, die schwarzen Schafe zu identifizieren, erklärt Sprecherin Michal Chafets. „Viel wichtiger ist ihr Verhalten.“ Als Beispiel nennt sie ein Transportschiff, das an der afrikanischen Küste entlangfährt, dann für drei Stunden anhält und anschließend eine Kehrtwendung vollzieht, ohne jemals in einem Hafen anzulegen. Ein solches Abweichen vom normalen Verhalten werfe Fragen auf, „als wenn man mit einer Kreditkarte plötzlich im Ausland einkauft“.
Zu den Kunden von Windward auf vier Kontinenten gehören Geheimdienste, Sicherheitsfirmen und Finanzagenturen. Unter den Investoren sind der ehemalige CIA-Chef David Petraeus, der Hongkonger Li Ka-shing – Asiens reichster Mann – sowie der Autor von „Start up Nation“, Dan Senor. Er hält Windward für „außergewöhnlich“ unter den vielen israelischen Startup-Firmen, weil das Unternehmen sich einer „globalen Herausforderung mit massivem Umfang“ stelle, sagte Senor der israelischen Wirtschaftszeitung „Globes“. Eine höhere Transparenz der Aktivitäten auf See werde „Auswirkungen quer durch verschiedene Industrien“ haben.
Das Unternehmen stützt sich auf eine Datenbank, die auf 150 Amazon-Servern gespeichert ist. „Diese Plattform sammelt Informationen aus offenen und kommerziellen Quellen über die weltweiten Bewegungen von Schiffen, darunter auch Funk si gnale“, erklärt Daniel. Die gebündelten Informationen hätten einen Umfang von etwa 100 Millionen Datenpunkten am Tag. „Wir haben eine Art Trichter entwickelt, der diese Informationen ordnen kann.“ Mithilfe von Algorithmen könne das Programm die Informationen „in eine eindeutige Geschichte“ umwandeln. „Das menschliche Gehirn allein wäre dazu viel zu eingeschränkt.“
Windward könne mit dem Programm eine Art „genetischen Code“ jedes Schiffs erstellen. „Wem gehört es, wo fährt es hin, welche Häfen besucht es.“ Dies erlaube es Kunden, „schlaue Fragen zu stellen“. Jede Abweichung von der bisherigen „Geschichte“ sei dann auffällig. Jeder Anwender – etwa der Zoll, die Marine, ein Geheimdienst – könne dabei seine eigenen Verdächtigengruppen selbst definie ren.
Das Programm könne allerdings auch nicht zeigen, was ein einzelnes Schiff geladen hat, räumt Daniel ein. „Wir liefern Fragezeichen, keine Ausrufungszeichen.“ Mit einer Verschärfung der Sicherheit an EU-Grenzen werde „sich vieles auf das Meer verschieben“, sagt Chafets. „Die See ist eine Art Wilder Westen, und das wird sich in Zukunft eher noch verschlimmern.“ dpa/FBi