Kapitän auf großer Fahrt mit „little English“

Ein Orkantief fegt über die Nordsee: Für die Schifffahrt in all ihren Spielarten ist das für sich genommen nichts Außergewöhnliches. Nicht umsonst gibt es im maritimen Sprachgebrauch die Redewendung „einen Sturm abreiten“.

So hätte es theoretisch auch am frühen Abend des 26. Oktobers 2017 sein können, als der chinesische Massengutfrachter „Glory Amsterdam“, nach dem er zuvor seine Ladung im Hamburger Hafen gelöscht hatte, in Erwartung neuer Order und in Ballast fahrend, einen Reede-Ankerplatz in der Nordsee eingenommen hatte. Abstand bis zur Küstenlinie: rund 19 Seemeilen. Zunächst so weit, so gut.

Doch binnen weniger Stunden veränderte sich das Lagebild für den unter der Flagge Panamas fahrenden, 77.171 tdw tragenden Massengutcarrier. Denn trotz ausgebrachter Anker begann das Schiff aufgrund des Orkans langsam, aber sich zu verdriften, und zwar in Richtung Küste. Was von dem Moment alles geschah, hatten die BSU-Mitarbeiter in akribischer Detail arbeit zusammengestellt und auf insgesamt 192 Seiten zu einem Abschlussbericht zusammengetragen. Ferenc John, Kapitän und Jurist bei der BSU, präsentierte den in seiner Behörde erschienenen Medienvertretern eine Fülle von Einzelheiten aus dem rekonstruierten Ablaufprotokoll. Fakten, aus denen am Ende der Präsentation klar wurde, dass die Grundberührung des Frachters vor Langeoog vermeidbar gewesen wäre, wenn … So gab es natürlich auf deutscher See einen „klar zum“ stehenden Notschlepper namens „Nordic“, der mit seinen royalen 201 Tonnen Pfahlzug den Havaristen mühelos aus dem Gefahrenbereich hätte schleppen können. Tatsächlich gab es in diesen dramatischen Tagen Ende Oktober 2017 viele „Wenns“, kleine und auch große.

Wie ein roter Faden ziehen sich durch den gesamten Ablauf die gravierenden Kommunikationsdefizite auf Seiten des späteren Havaristen, aber auch im Umgang zwischen deutschen Dienststellen.

Ganz besonders schlimm muss es dabei dem Kapitän des eigens und eilends detachierten Notschleppers „Nordic“ ergangen sein. Eine Ahnung von dem, was in diesen dramatischen Stunden allein in der Kommunikation zwischen ihm und dem Bulker-Kapitän ablief, vermittelt der Untersuchungsbericht zum Beispiel mit dieser Passage: „Der Kapitän der ,Nordic‘ versuchte anschließend mehrfach, aufgrund massiver Verständigungsprobleme letztlich aber erfolglos, dem Kapitän der ,Glory Amsterdam‘“ über UKW-Funk zu erklären, dass die ,Nordic‘ nicht der von der ,Glory Amsterdam‘ angeforderte Assistenz-, sondern ein Notschlepper sei, dessen Aufgabe allein darin besteht, im Notfall vorübergehend eine Schleppverbindung herzustellen (…)“.

Doch die Dramenkette ist noch viel länger: Das Havariekommando (HK) konnte nicht in Echtzeit das Geschehen begleiten, weil scheinbar simple technische Möglichkeiten nicht vorhanden waren: kein Zugriff auf verfügbare AIS-Daten und Radarbilder, keine Teilnahme am UKW-Sprechverkehr, weil dafür die technischen Voraussetzungen fehlten. Oder: ein Schlepper „Nordic“, der im Achterschiffbereich so beschaffen ist, dass ein gefahrenfreies Auf- oder Abwinschen eines vorgesehenen Boarding-Hilfs-Teams mittels Hubschrauber bei Extremwetter aus Sicherheitsgründen vom Piloten ausgeschlossen werden musste, und noch viel mehr.

Der nunmehr aus Sicht der BSU aufgearbeitete Vorgang „Glory Amsterdam“ heißt indes nicht, dass sich Ulf Kaspera und sein 13-köpfiges Team nun locker zurücklehnen können. Für sie gilt: „Nach dem Bericht ist vor dem Bericht.“ Kaspera: „Wir haben derzeit noch einiges in der Bearbeitung.“

Der „Glory Amsterdam“-Bericht wird in jedem Fall in die auch vom BSU dringend empfohlene Überarbeitung des Sicherheitskonzeptes „Deutsche Küste“ einfließen. Denn das ist sicher: Unglück schläft nicht – auch nicht in der Schifffahrt. EHA

Kommentar von Eckhard Arndt

„Glory Amsterdam“: Berlin muss handeln

Wenn es um den rheinischen Frohsinn geht, ist auch den nüchterneren Nordlichtern inzwischen dieser Satz geläufig: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Also: Es ist (bislang) noch immer glimpflich ausgegangen. Dieser Satz kommt einem in den Sinn, wenn man aus berufenem Munde über die dramatischen Abläufe rund um den China-Bulker „Glory Amsterdam“ informiert wird. Denn trotz einer aus vielen Gründen am Ende nicht mehr zu verhindernden Strandung des 225 Meter langen Frachters, trotz brechender Schleppleinen und losgerissener Poller, trotz gewagter, aber noch mehr abgewägter Hubschrauber-Manöver und vielem mehr blieb es am Ende „nur“ bei hohem Sachschaden am Havaristen. Es gab keine Personenschäden.

Dennoch ist der jetzt vorliegende, 192 Seiten starke Abschlussbericht mitnichten dafür bestimmt, nur in einem sicheren Akten- oder Bücherregal „entsorgt“ zu werden. Dieser Bericht fordert vor allem die Politik zum Handeln auf. Zu lang ist die Liste der Defizite. Das Havariekommando (HK) in Cuxhaven beispielsweise muss mehr als dringend aufgerüstet werden. Nicht etwa in Gestalt noch schickerer Uniformen, sondern vor allem in Form von Technik, die der Kommunikationswirklichkeit des 21. Jahrhunderts entspricht.

Die Defizite gehen noch weiter: Der eingecharterte Notfallschlepper ist offenkundig baulich nur bedingt geeignet, um bei Extremwetter ein gefahrenloses Ab- und Aufwinschen von Experten zu ermöglichen.

Und auch das: Fremdsprachenkenntnisse. Hier muss sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene dafür einsetzen, dass Schiffsführungspersonal in jeder Situation die anerkannte Schifffahrtssprache Englisch auch beherrscht, und zwar auf jedem Frachter.

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eckhard.arndt@thb.info

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