Warum sind die Schleppleinen gebrochen?

Zur Bergungsaktion der „Glory Amsterdam“ sind noch wichtige Fragen zu klären.

Gastbeitrag von Kapitän Klaus Schroh*

Warum ist der leistungsfähige Seeschlepper „Nordic“ aus dem lukrativen Bergungsgeschäft entlassen worden?

Warum hat man erst nach 3,5 Tagen mit dem Abpumpen des Ballastwassers begonnen ?

Aus langjähriger Erfahrung mit dem Bergungsgeschäft kommentiere ich das Bergungsgeschehen zum Freikommen der „Glory Amsterdam“ wie folgt:

Die „Nordic“ der Busgsier-Reederei gilt als leistungsfähigster Bergungsschlepper in der inneren Deutschen Bucht mit einem außergewöhnlichen Pfahlzug von 201 Tonnen, der in jedem Fall zum Freischleppen des Havaristen ausreichend gewesen wäre. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit dem Abpumpen des Ballastwassers von insgesamt 20.000 Tonnen.

Außerdem hätte die ständig in der Deutschen Bucht befindliche „Mellum“ (Pfahlzug 110 Tonnen) notfalls zusätzlich assistieren können. Da die „Glory Amsterdam“ bereits vier Stunden vor Hochwasser (etwa 07.15 Uhr am 2. November) frei gekommen ist, dürfte das vorrangig mit der Tiefgangsverringerung durch Abpumpen des Ballastwassers verursacht worden sein. Die Tiefgangsveränderung in Zoll pro 100 Tonnen Zuladung/Abladung (TPI) ist auf jedem Carrier in der Schiffsdaten-Spezifikation ersichtlich und hätte dem Einsatzkommando an Bord bekannt sein müssen. Um das um 3,5 Tage verspätete Abpumpen des Ballastwassers zu begreifen, sollte man wissen, dass ein Bergelohn nach dem zeitlichen, personellen und materiellen Bergungsaufwand und natürlich nach dem Schiffswert des Havaristen berechnet wird.

Aus bergungstechnischer Sicht bleibt folglich die Frage zu beantworten, warum zusätzlich die beiden externen Schlepper „Fairmont Summit“ und „Union Manta“ zur Hilfeleistung angefordert wurden, die natürlich erst mit erheblicher Verzögerung auf der Havarieposition eintrafen und nun den Schwerpunkt für die Bergelohnberechnung sicherlich bilden werden.

Es ist nach der Havarie des brennenden und führerlos treibenden Holzfrachters „Pallas“ am 29. Oktober 1998 knapp fünf Seemeilen südwestlich von Amrum mit viel öffentlichem Getöse ein Notschleppkonzept für die Deutsche Küste erarbeitet worden, das seinerzeit als Schwerpunkt des Themas Bergung/Hilfeleistung die Charterung der „Oceanic“ durch den Bund (Verkehrsministerium) zur Folge hatte. Beim Bauauftrag für die „Nordic“ – als Nachfolger für die „Oceanic“ – wurde übrigens besonderer Wert auf möglichst geringen Tiefgang gelegt, einer Erkenntnis aus der Pallas-Havarie folgend. Die Mehrzweckschiffe „Mellum“ und „Neuwerk“ sollten konzeptgemäß als sogenannte Noteinsatzschlepper eingreifen, wenn der vertraglich gecharterte Bergungsschlepper der Bugsier nicht rechtzeitig „vor Ort“ sein könnte. Das eigentliche Bergungsgeschäft sollte aber in jedem Fall – wie folgt – vom kommerziellen Bergungsschlepper übernommen werden.

Die vertragliche Vereinbarung sieht/sah verständlicherweise vor, dass die Einnahmen aus einem erfolgreichen Bergungs- beziehungsweise Hilfeleistungsauftrag nach einem bestimmten Schlüssel beiden Vertragsparteien – das heißt dem Bund und der Bugsier-Reederei – zufließen sollten. Schließlich kostet den Bund die Charterung des Stand-By-Schleppers „Nordic“ täglich 31.000 Euro.

Es gehört daher aus deutscher und schifffahrtspolizeilicher Sicht zum Selbstverständnis, dass ein Bergungsauftrag im deutschen Zuständigkeitsbereich auch vom eigens hierfür gecharterten und sofort einsatzbereiten Bergungsschlepper „Nordic“ gemanagt wird.

In den TV-Beiträgen war wiederholt zu sehen, dass die maximal 5,79 Meter tiefgehende „Mellum“ problemlos zur Hochwasser-Zeit nahe am Havaristen operierte. Ihre Schleppleistung mit mindestens 100 Tonnen Trossenzug reichte übrigens bei einem seinerzeitigen Schleppmanöver mit dem beladenen 100.000 tdw-Tanker „Teseo“ aus, um mit nur 50 Prozent der Zugleistung den Großcarrier mit fünf Knoten Fahrt zu verschleppen. Wenn die „Nordic“ keine ausreichende Leinenlänge an Bord gehabt hat, was bei ihrem Charter-Auftrag eigentlich unwahrscheinlich ist, hätte die „Mellum“ oder ihr Schwesterschiff „Neuwerk“ mit je 1000 Meter Schlepptrosse mit 62 Millimetern Durchmesser sofort aushelfen können.

Bei der „Nordic“ war zwangsläufig der Manöverspielraum mit einem Tiefgang von 6,20 Metern beengter, gleichwohl hätte sie mit entsprechender Leinenlänge die Abbergung mit dem zeitlich parallel laufenden Ballastlenzen nach meiner Ansicht auch durchführen können. Immerhin wurde dem Bugsier-Team der „Nordic“ seinerzeit von allen Seiten bestmögliche Kompetenz im Bergungsfall bescheinigt. Im Übrigen verfügten die beiden niederländischen Offshore-Versorger auch über Tiefgänge von 5,70 beziehungsweise 7 Metern. Da die „Glory Amsterdam“ nach Angaben des Havariekommendos am Rande der Fünfmeter-Line lag, hätte dies bei einem dortigen mittleren Tidehub von 2,80 Metern bei Hochwasser kein Hindernis sein dürfen.

Es bleibt also abschließend die entscheidende Frage zu klären, welche Gründe dazu geführt haben, den lukrativen Bergungsauftrag einer niederländische Firma zu erteilen, obwohl das deutsche Bergungskonzept mit der „Nordic“ für solche Fälle eine sachgemäße Vorsorge vorsah/vorsieht. Im Rahmen eines schifffahrtspolizeilichen Eingriffs hätte diese Konzeption auch umgesetzt werden können. Ergänzend hierzu bleibt zu erwähnen, dass bei der allseits bekannten Bergung des Containerriesen „Indian Ocean“ auf der Unterelbe ebenfalls die beiden genannten Offshore-Versorger am damaligen ertragreichen Bergungsauftrag beteiligt waren.

Eine nicht minder bedeutsame Frage muss zur Entstehung des Havariefalls gestellt werden: Warum ist der erprobten „Nordic“-Crew die Schleppleine wiederholt gebrochen und warum wurde die „Mellum“ nicht ersatzweise zur Hilfeleistung eingesetzt, notfalls mit schiffahrtspolizeilichem Zwang?

*Klaus Schroh war früher Hafenkapitän von Wilhelmshaven und anschließend Leiter der „Sonderstelle des Bundes zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen“ in Cuxhaven. Heute engagiert er sich im Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU). FBi

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