„Wetter war nicht grenzwertig“

Ziehharmonika-Effekt: Seitlicher Winddruck könnte die Boxen in Schieflage gebracht haben, Foto: Havariekommando

Foto: privat, Klaus Schroh
Wie konnte die „MSC Zoe“ so viele Container auf See verlieren? Die Ermittlungen zur Unfallursache werden einige Zeit in Anspruch nehmen.
Nachdem der THB vergangene Woche bereits den Schiffbauexperten Dr. Ulrich Malchow um eine exklusive Einschätzung gebeten hatte (thb.info vom 3. Januar 2019), bewertet nun auch Klaus Schroh den Vorfall. Der Kapitän a. D. fuhr früher selbst in der Handelsschifffahrt zur See, war Hafenkapitän in Wilhelmshaven, leitete die „Sonderstelle des Bundes zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen“ in Cuxhaven und engagiert sich heute im Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU):
Die „MSC Zoe“ wird selbstverständlich über ein international anerkanntes Sicherungssystem zur sicheren Beförderung der Container über See verfügen, das so ausgelegt sein muss, dass auch bei schwerer See ein Übergehen der Ladung vermieden wird. Von der Größe der „MSC Zoe“ (19.224 TEU) sind bekanntlich viele Containerriesen unterwegs, die wiederholt in der Nordsee stürmische Seewetterlagen angetroffen und abgeritten haben, ohne dass ein einziger Container über die Reling gegangen ist. Es gibt zwar einen vergleichbaren Fall, als das Containerschiff „Thetis D“ der Cuxhavener Reederei Drevin im Dezember 2016 vor der ostfriesischen Küste 16 Container in sturmgepeitschter See verlor – allerdings war die „Thetis D“ (nur!) ein größeres Feederschiff mit einer Länge von 168 Metern und einer maximalen Staukapazität von 1421 TEU.
Was ist aus der Tatsache zu folgern, dass das Wetter beim Übergehen der „MSC Zoe“-Container keineswegs grenzwertig für ein Schiff dieser Größe war und infolgedessen ein schlecht gelaunter Petrus auch nicht zum „Hauptschuldigen“ für diese Tragödie gemacht werden kann, wie dies auch der Schiffbauexperte Dr. Ulrich Malchow in seinem THB-Beitrag vermutet hatte: Die weitaus einleuchtendere Ursache kann nur lauten: Unsachgemäße Laschung oder bereits gelöste Lashings.
Die alternative Erklärung wäre, dass das System der weltweit anerkannten Containersicherung einer Überprüfung bedarf. Dies gilt insbesondere für außergewöhnliche Schiffsgrößen mit hoher Decksbeladung, denn es darf nicht unterschätzt werden, dass die voll beladenen Containerriesen dem seitlich angreifenden Sturm eine Segelfläche bieten, die etwa der dreifachen der ehemals größten Segelschiffe der Welt („Preußen“ und „Potosi“) entspricht. Hier werden seitlich angreifende Kräfte bis zu 200 Tonnen wirksam. Das heißt: Zusätzlich zu den von der Rollbewegungen großer Schiffe ausgelösten Fliehkräften in den oberen Containerlagen kommt auf die Lashings noch enormer seitlicher Winddruck.
Diese zusätzlichen Angriffskräfte können letztlich die Initialzündung auslösen, wonach eine nachlässige Sicherung zum Bruch der Container-Lashings und folglich zum Verlust der in Bewegung geratenen Container führen kann. Da die „MSC Zoe“ noch über ein jugendliches Alter verfügt, sollte im Grunde genommen eine Materialermüdung in diesem Fall kaum infrage kommen.
Weil längst nicht alle Container umgehend geborgen werden können, dürfte ein nicht unerheblicher Ladungsanteil eine gravierende Umweltgefahr für das gesamte südliche Nordseegebiet unter Einschluss der vorgelagerten Inseln bedeuten. bek