„Beunruhigender“ Aderlass der deutschen Handelsflotte

Die nunmehr längste Welt-Schifffahrtskrise der Nachkriegszeit setzt auch den deutschen Reedereien immer stärker zu.

2015 bringt einen neuen, traurigen Spitzenwert in der deutschen Handelsflotte, räumte der Verband Deutscher Reeder (VDR) am Donnerstag in Hamburg ein: Mit dem Stichtag 30. September umfasste die Flotte 3122 Einheiten, verteilt auf verschiedene Segmente. VDR-Präsident Alfred Hartmann, der gemeinsam mit Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied, das zu Ende gehende Schifffahrtsjahr 2015 Revue passieren ließ: „Seit ihrem Höchststand im Jahr 2012 hat die Transportkapazität um zwölf Prozent und die Anzahl der Schiffe sogar um fast 17 Prozent abgenommen.“

Hartmann, Chef einer mittelständischen Reedereigruppe in Leer, brachte seine Gefühlslage auf den Punkt: „Der Rückgang unserer Handelsflotte ist eine beunruhigende Entwicklung.“ Der Reeder erinnerte daran, dass die deutsche Reedereiwirtschaft nach wie vor von kleinen und mittelgroßen Unternehmen getragen werde. Nach VDR-Erhebungen sind das aktuell 377 Firmen, die sich auf verschiedene norddeutsche Hafen- und Schifffahrtsstandorte verteilten. Im VDR selbst sind gut 200 Mitglieder registriert, so dass der Verband gut 75 Prozent der nationalen Flotte repräsentiert. Hartmann wies darauf hin, dass „die Hälfte der deutschen Schifffahrtsunternehmen weniger als fünf Schiffe bereedert. Bei ihnen kann selbst der Verlust von einzelnen Schiffen gravierende Folgen auf den Fortbestand des Unternehmens haben“, ergänzte er. Berücksichtige man auch die Zugänge durch Neubauten und Ankäufe, habe die deutsche Handelsflotte im laufenden Jahr bereits 117 Schiffe verloren. Hartmann: „Verschrottet wurden lediglich 13 Schiffe. Ins Ausland verkauft wurden insgesamt 182 Schiffe, darunter 68 Containerschiffe.“

In zahlreichen Fällen erfolgten die Veräußerungen auf Geheiß der Banken, weil zum Beispiel Kreditverpflichtungen nicht mehr bedient werden konnten. In dem Zusammenhang sorgt sich der VDR sehr um die weitere Entwicklung bei der HSH Nordbank, die bis zum Ausbruch der globalen Schifffahrtskrise 2008/2009 als weltweit führend bei der Schiffsfinanzierung galt.

Was die im laufenden Jahr erfolgten Transaktionen betrifft, gehörten vor allem Griechen zu den Abnehmern von deutschen Schiffen, aber auch viele türkische Unternehmen nutzten die aus ihrer Sicht bestehende Gunst der Stunde. Im Ausland sei bekannt, dass deutsches Schiffsmaterial nicht nur technisch gut in Schuss sei, sondern „dass diese Schiffe in der Regel mit interessanten Zusatzausrüs tungen versehen sind“. Hartmann betonte, dass die „die ins Ausland verkauften Schiffe der deutschen Handelsflotte nun Konkurrenz machen. Zu heutigen niedrigen Marktpreisen erworben, sind sie wettbewerbsfähiger, weil der Kapitaldienst für diese Schiffe wesentlich geringer als bei den Bestandsschiffen ist“. Und: „An jedem Schiff, das ins Ausland verkauft wird, hängen Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland.“ Das untermauerte VDR-Geschäftsührungsmitglied Ralf Nagel. Die Beschäftigung an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge sei rückläufig.

Aus den bislang über viele Jahre hinweg gehaltenen gut 7000 Arbeitsplätzen seien inzwischen gut 6700 geworden, ergänzte Nagel. Wiederholt betonten die beiden Reeder-Vertreter, wie wichtig es sei, die für viele Bereiche der deutschen Volkswirtschaft bedeutende maritime Branche und deren Kompetenz zu erhalten. Daher sei es wichtig, dass die von der Bundesregierung und dem Bundestag gemachten Zusagen, „den EU-Förderrahmen für die Seeschifffahrt so auszuschöpfen wie in anderen europäischen Schifffahrtsnationen bereits üblich“, auch schnell erfüllt werden. Nagel verwies auf den hundertprozentigen Lohnsteuereinbehalt sowie die vollständige Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge und die zügige Anpassung der starren deutschen Schiffsbesetzungsordnung (SBO) an das europäische Gefüge. Die Perspektive für 2016 formulierte VDR-Präsident Hartmann so: „Ein erneut schwieriges Jahr. Trotzdem gilt: Die Schifffahrt ist keine Abbau-, sondern eine Wachstumsbranche.“ EHA

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