Europa braucht eine leistungsstarke Schifffahrt

Der THB hat in einer Umfrage die wichtigen Fachverbände der deutschen maritimen Verbundwirtschaft nach ihren Erwartungen und ihren Forderungen an die Präsidentschaft befragt.

Am 1. Juli 2020 übernimmt die Bundesrepublik Deutschland für die kommenden sechs Monate eine ganz besondere Aufgabe innerhalb der Europäischen Union (EU): den Vorsitz im Rat der EU, populär formuliert die „EU-Ratspräsidentschaft“.

Unter dem Leitsatz „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“ will Deutschland nun, nach Kroatien im 1. Halbjahr 2020, in einer besonders kritischen Phase seit Gründung der europäischen Staatengemeinschaft seinen wichtigen Beitrag dafür leisten, dass die EU gestärkt aus dieser Zeit hervorgeht.

Der THB hat die für die maritime Wirtschaft relevanten Fachverbände gebeten, ihre Erwartungen, aber auch ihre zentralen Wünsche, an den deutschen Ratsvorsitz zu formulieren. Der THB hat die Kernaussagen verbandsweise zusammengefasst und und veröffentlich sie auf den folgenden Seiten.

 

Alfred Hartmann, Präsident Verband Deutscher Reeder (VDR)

Für die deutschen Reeder fordert der Präsident des VDR (Verband Deutscher Reeder), Alfred Hartmann, dass diese, damit sie die Auswirkungen der Corona-Krise erfolgreich meistern können, sowohl von nationaler als auch europäischer Förderung und Unterstützung profitieren dürfen. Das könnte unter anderem über die Einbeziehung der Europäische Investitionsbank (EIB) erfolgen. Hartmann verweist in dem Zusammenhang auf „andere Industrien“, für die entsprechende Instrumente bereits nutzbar sind. Der VDR ist überzeugt: „Um Europas Rolle in der Welt künftig zu stärken, braucht es eine leistungsfähige Schifffahrt.“ Deutschland soll in den kommenden Monaten mit dazu beitragen, „dass die Versorgung des Kontinents nicht von staatlich beeinflussten Schifffahrtsunternehmen von außerhalb abhängig wird.“ Denn das sei doch eine der Lehren aus der Corona-Pandemie: „Solche Abhängigkeiten dürfen sich nicht weiter erhöhen.

Beim zentralen Thema „Klimaschutz und Schifffahrt“, dessen inhaltliche Ausgestaltung und Umsetzung durch die Weltschifffahrtsorganisation IMO mit Sitz in London erfolgt, erwartet der VDR vom deutschen Ratsvorsitz, dass „wir in London eine verhandlungsstarke und diplomatisch versierte EU benötigen, die im Verbund mit anderen Schifffahrtsstandorten mithilft, die Ziele der IMO global voranzutreiben“. Es gelte, dass die starken Staaten die „schwache Staaten“ mitnehmen und Zweifler überzeugen. Das alles mit dem Ziel, für einen weltweiten Klimaschutz und fairen Wettbewerb „in unserer internationalen Industrie“ einzutreten. Die Mitgliedsstaaten der EU sollten zudem auch dort helfen, den von der Schifffahrt eingebrachten Forschungs- und Entwicklungsfonds schnell Wirklichkeit werden zu lassen.“ Auch das fordert der VDR: Deutschland soll sich als Motor in der EU zugunsten der Innovationsförderung zu den Aspekten „Digitalisierung“ und auch „Wasserstoff als alternativer Treibstoff in der Schifffahrt“ in der EU einsetzen. Die Gemeinschaft müsse „zum weltweiten Exzellenz-Cluster“ aufrücken.

 

Dr. Alexander Geisler, Geschäftsführer Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZVDS)

Für die im Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZVDS) vereinten Unternehmen ist es mehr als nur wünschenswert, dass es der deutschen Ratspräsidentschaft gelingen möge, wieder mehr Schwung in den Kurzstreckenseeverkehr in der EU zu bringen. Der Anteil des Shortsea-Verkehrs am Gesamttransportvolumen stagniert nach Wahrnehmung des Verbands „trotz vieler Initiativen und öffentlicher Förderung seit vielen Jahren“. Eine Folge: Auch die eingesetzte Flotte stagniere in ihrem Umfang. In einigen Teilsegmenten schrumpfte sie sogar. Der Verband bemängelt, dass „nach wie vor der mit einem Seetransport verbundene Verwaltungsaufwand vergleichsweise hoch ist, so dass nicht unerhebliche Wettbewerbsnachteile zu anderen Transportmitteln bestehen – insbesondere zum Lkw“. Es sei aber „in Zeiten der Digitalisierung und der Automatischen Identifikationssysteme (AIS) an Bord von Schiffen nicht einzusehen, warum Seereisen zwischen EU-Mitgliedsstaaten zollrechtlich so behandelt werden, als ob diese Schiffe aus dem Nicht-EU-Ausland kommen“. Würden also die nationalen Behörden bereits vorhandene technische Möglichkeiten nutzen, „könnte der EU-Binnenmarkt für den Seeverkehr zeitnah weiterentwickelt werden und bestehende Wettbewerbsnachteile für den Seetransport gegenüber dem LKW-Transport abgebaut werden.

Neue Impulse müsse Berlin in den kommenden sechs Monaten auch beim elektronischen Datenaustausch und dem Aufbau digitaler Lieferketten setzen. Diese gehörten eigentlich schon seit Jahren zum Berufsalltag in der maritimen Branche in Deutschland. Da sei es umso verwunderlicher, dass „viele EU-Gremien und Institutionen die jüngsten Debatten um die Fortentwicklung von elektronischen Meldewegen immer öfter mit dem Versuch verknüpften, „neue Eingabeplattformen parallel oder in Ersatz für vorhandene aufzubauen“. Ein Negativbeispiel liefert der ZVDS gleich mit: Die Debatte um den Review des European Maritime Single Window (EMSW). Dabei werde in der Regel – bewusst oder unbewusst – übersehen, dass zumindest in Deutschland mit den bereits bestehenden Hafenkommunikationssystemen leistungsfähige Portale zur Erfüllung der schiffs- und ladungsbezogenen Meldepflichten bestehen. Diese Vorgehensweise sei daher „mit Blick auf die bereits geleisteten Arbeiten und die Investitionen der verschiedenen Unternehmen der deutschen maritimen Branche nicht akzeptabel“. Zur Vermeidung von Mehrkosten und Doppelmeldungen sollte nach Überzeugung des Schiffsmaklerverbandes „auch im digitalen Bereich der Grundsatz der Subsidiarität bestehen“. Und das bedeutet: „Anstatt technologische Verfahren und Kompetenzen zugunsten von EU-Institutionen festzuschreiben, sollten europäische Initiativen grundsätzlich auf der vorhandenen digitalen Infrastruktur in den Mitgliedsstaaten aufsetzen, insbesondere um den Ansatz, Daten nur einmal melden zu müssen, auch wirklich erfüllen zu können. Anstatt selber Plattformen zu betreiben, die vielleicht nur Teilaspekte des Gesamttransportes abdecken, sollte sich die EU um die Harmonisierung der abzufragenden Datensätze kümmern.

Der ZVDS tritt schon lange entschieden für eine Wettbewerbsgleichheit zwischen den Häfen innerhalb der Europäischen Union ein. Doch „leider erleben wir es immer häufiger, dass viele Mitgliedsstaaten die nationale Umsetzung von EU-Vorgaben nutzen, um für ihre Hafenstandorte Vorteile zu schaffen“. Gleiche Rahmenbedingungen für alle bei der nationalen Umsetzung von EU-Vorgaben sei „aber wesentlich, um Wettbewerbsverzerrungen und somit Nachteile für deutsche Standorte zu vermeiden. Im Sinne des fairen Wettbewerbs zwischen den Häfen sollte der Bund auf der europäische Ebene auch in den Bereichen Zoll- und Steuerrecht auf eine einheitliche Anwendung der Vorgaben drängen“.

 

Dr. Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM)

Vor dem Hintergrund der geostrategischen Entwicklungen, insbesondere den weltweit zunehmenden protektionistischen Tendenzen, wird der europäische Binnenmarkt noch wichtiger, ist Dr. Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM), überzeugt. Für ihn fällt daher „die deutsche Ratspräsidentschaft in eine besonders wichtige Phase. Die Wiederaufbaupläne und der mehrjährige Finanzrahmen der EU müssen verabschiedet werden. Dies wird auch die maritime Wirtschaft substanziell berühren“, so Lüken weiter. Der Branchenverband setzt sich unter anderem für ein europäisches Flottenprogramm ein und sei intensiv am Aufbau einer Forschungspartnerschaft für „Zero Emission Waterborne Transport“ beteiligt. Fortschritte erwartet der Verband auch beim Thema Maßnahmen gegen Subventionen in Drittstaaten. „Für die Schiffbauindustrie bleibt dieses Thema von größter Bedeutung.“ Europas Rolle werden auch im Bereich des Marineschiffbau erheblich zunehmen – wie zügig, hänge auch von der Dotierung des europäischen Verteidigungsfonds ab.

 

Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS )

Nach Bewertung von Daniel Hosseus, Hauptgeschäftsführer im Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) hat „die Corona-Krise in der Hafenwirtschaft zu massiven Umschlag- und Umsatzeinbußen geführt“. Die Rückgänge lägen dabei im zweistelligen Prozentbereich, und zwar sowohl im Güter- als auch im Fahrgastbereich. Mit Blick auf die Entwicklungen in Fernost, Indien, Brasilien, USA und Russland sei noch nicht absehbar, wann das Geschäft wieder nachhaltig anziehen wird. Dabei werde es Unterschiede bei den verschiedenen Segmenten und auch zwischen einzelnen Standorten geben, so der ZDS weiter.

Auch vor dem Hintergrund von zeitweisen Grenzschließungen beziehumgsweise von Verzögerungen im Güterverkehr an den Binnen- und Außengrenzen während der Krise sei es unabdingbar, dass die EU jetzt allen Entwicklungen entgegensteht, die den freien Handel und offene Märkte in Europa und in der Welt einschränken.

Weil die Energiesteuerrichtlinie maßgeblich beeinflusst, zu welchem Preis Benzin, Diesel, Elektrizität, LNG oder Wasserstoff im Verkehrswesen eingesetzt werden und wie sich Frachtmärkte für Energieträger wie Öl, Gas, Kohle und Windkraft entwickeln, müsse die anstehende Überarbeitung dieser EU-Richtlinie „sachlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und wettbewerblichen Anforderungen in der gebotenen Ausgewogenheit genügen“.

Der ZDS fordert zudem. dass der europäische Wirtschaftsraum „durch leistungsfähige Verkehrs- und Kommunikationswege verbunden sein muss“. Öffentliche Investitionen sollten daher „die ganze Räumlichkeit und Vielfalt des europäischen Verkehrssystems abbilden und damit dessen Resilienz und Zukunftsfähigkeit stärken“. Auf eine Ausweitung der Klagebefugnis auf Privatpersonen bei Umweltklagen sollte verzichtet werden, betont der ZDS. Das sei ein Beitrag, um „die Verzögerung und Verteuerung von Verkehrsprojekten zu verhindern“.

 

Frank Huster, Hauptgeschäftsführer Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV)

Aus Sicht des Bundesverbandes Spedition und Logistik e.V (DSLV) können die Bundesregierung und die EU während der deutschen Ratspräsidentschaft dazu beitragen, dass sich die maritime Logistik möglichst zügig wieder von der Krise erholt, indem sie Hindernisse im internationalen Handel abbauen, bestehende Wettbewerbsnachteile für deutsche und europäische Seehäfen ausräumen und die anlaufende Umsetzung des Green Deals allen wirtschaftlichen, ökologischen und wettbewerblichen Anforderungen genügen lassen.

Die Freiheit des Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital bleibt weiterhin maßgeblich für den Erfolg der deutschen Logistik nicht nur innerhalb Europas, sondern auch als Standortvorteil im globalen Wettbewerb, betont DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. Nach seiner Überzeugung wird „die deutsche Ratspräsidentschaft deshalb weitere Weichen für den grundsätzlichen Erhalt der Union stellen müssen, und das bei massiver wirtschaftlicher Schwäche und einem zukünftig hoch belasteten Haushalt mit noch unklarer Finanzierung durch die Staatengemeinschaft“. Hierzu müsse Brüssel mit der baldigen Auflösung des Brexit-Patts durch Abschluss eines Abkommens über die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ein wichtiges Signal setzen. Zudem werde der „Green Deal“ in den kommenden sechs Monaten die Zukunft der Speditions- und Logistikbranche konkretisieren. Hier ist für Huster „Fingerspitzengefühl gefordert, damit in einer Post-Covid-Phase erste Konjunkturbelebungen durch zusätzliche Klimaschutzauflagen nicht wieder zunichte gemacht werden“. Wichtig sei ein gemeinsames europäisches Vorgehen für den Klimaschutz, in das auch die Wirtschaft eingebunden werden müsse. Fortschritte im Datenaustausch – vor allem auch zwischen Wirtschaft und öffentlicher Hand – seien ebenso erforderlich wie der europaweite Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur für alternative Antriebe“.

Mit großer Sorge beobachtet der DSLV eine Rückkehr zur Durchsetzung nationaler Interessen in der EU. Die Covid-19-Krise habe dies verstärkt. „Deutschland muss dem konsequent die europäische Idee entgegenhalten. Es bedarf im Rat der Europäischen Union eines klaren Bekenntnisses zum europäischen Binnenmarkt, zu arbeitsteiligen Produktionsprozessen und zu offenen Grenzen.“

 

Dr. Florian Eck, Geschäftsführer Deutsches Verkehrsforum (DFV)

Nach Ansicht des Deutschen Verkehrsforums (DFV) muss die Bundesregierung in den kommenden sechs Monaten vor allem Europa als Ganzes zukunfts- und krisenfest aufstellen. „Dazu haben Mobilität und Logistik eine Schlüsselrolle, die nun politisch unterstützt werden muss“, betont DVF-Geschäftsführer Dr. Florian Eck. Ein wichtiges Projekt sei die „Connecting Europe Facility“, die mit dem Blick auf das Thema Innovation vorangebracht werden müsse. „Eine leistungsfähige grenzüberschreitende Infrastruktur ist essenziell für den europäischen Handel und die Hinterlandverkehre der Häfen.“ Die wachsenden Anforderungen im materiellen Umweltrecht und Umweltverfahrensrecht der EU dürften so nicht weiter verschärft werden.

Die Bundesregierung sollte zudem die Positionierung Europas auf dem Weltmarkt im Blick haben. Unternehmensfusionen als „europäische Champions“ müssten zugelassen werden, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Ebenso wichtig sei es, eine europäische Ergänzung zur Neuen Seidenstraße zu bieten.

Beim Klimaschutz gehe es im Rahmen einer begleitenden europäischen Industriepolitik unter anderem um den Ausbau der erneuerbaren Energien, eine Strategie für Wasserstoff und E-Fuels sowie den Ausbau einer EU-weit einheitlichen Tank- und Ladeinfrastruktur.

In einer europäischen Dimension vorangetrieben werden müsse auch die Digitalisierung. „Insbesondere die Logistikwirtschaft und die Häfen würden von einer besseren Digitalisierung der Prozesse auf der wirtschaftlichen Seite profitieren – aber auch die Umwelt, weil optimierte Abläufe die Verkehrsträger besser miteinander verzahnen und Staus vermieden werden“. EHA/bek

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