„Hamburgs Hafenpolitik fehlt die Orientierung“

„Es gibt de facto keinen Wettbewerb im Hafen, weil Hamburg diesen nicht gefördert hat.“ - Dr. Johann Killinger, Foto: Arndt

Ein Hafen, zwei große Terminal-Operator: Eurogate (l.) und die HHLA (r.) sind Nachbarn am Waltershofer Hafen. Sie loten eine engere Kooperation aus, Foto: U. Wirrwa

Ist weiterhin Bestandteil des „Kleinen Grasbrook“: der O‘Swaldkai mit dem Vielzweckterminal von Unikai, Foto: Arndt
Wie sieht die Weiterentwicklung des Hamburger Hafens aus – auch und gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie? Ist damit die Zeit reif, auch über eine norddeutsche Häfen-Kooperation ernsthaft nachzudenken?
Auch Dr. Johann Killinger, geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Buss-Gruppe, beschäftigen diese und weitere Fragen seit geraumer Zeit. Dabei hat die von ihm geführte Firmengruppe ihre historischen Wurzeln in Deutschlands größtem Universalhafen. Vor 100 Jahren, am 1. August 1920, ging das heute breit aufgestellte Unternehmen in Hamburg an den Start, als klassischer Stauereibetrieb.
Im Gespräch mit dem THB stellt Hafen- und Logistik-Experte Killinger zur mittel- und längerfristigen Zukunft des Hamburger Hafens nüchtern fest: „Der Elbe-Hafen wird, wie wir es in den zurückliegenden zwölf Jahren bereits erlebt haben, im Wettbewerb langsam weiter an Bedeutung verlieren. Das gilt nach meiner Überzeugung vor allem im Containersegment.“ Ein Vergleich mit der Entwicklung in den Wettbewerbshäfen, vor allem Rotterdam und Antwerpen, lasse hier leider keinen anderen Rückschluss zu.
Killinger geht davon aus, dass in Hamburg auch bei einem Wiederanziehen der Weltwirtschaft nicht mehr als zehn Millionen Container im Jahr umgeschlagen werden. Zur Erinnerung: Hamburg stand 2008 bereits an der magischen Schwelle zu den zehn Millionen TEU. Dann kam die Schifffahrts- und Bankenkrise und damit der starke Einbruch beim Umschlag auch an der Elbe. Zwar konnte Hamburg in den Folgejahren wieder Pluspunkte sammeln. 2019 wurden immerhin wieder 9,3 Millionen TEU umgeschlagen – vor Corona. Im Vergleich mit dem Wettbewerb hat Hamburg seit 2008 aber erhebliche Marktanteile verloren.
Für das gebremste Wachstum gibt es für den Hafen-Chef gleich mehrere Gründe. Einer lautet: Das globale Containermengenwachstum hat sich inzwischen deutlich verlangsamt, und zwar auch ohne den Corona Effekt. Zweitens: Äußere Faktoren führen dazu, dass große Teile des natürlichen „Hamburger Hinterlandes“, vor allem der ganze Ostseeraum, inzwischen auch über die Westhäfen oder sogar über Direktanläufe an das internationale Containerliniennetz angebunden sind. Killinger verweist hier beispielhaft auf die Direktanläufe im polnischen Ostseehafen Danzig mit XXL-Container-Frachtern.
Und dann gibt es noch so etwas wie einen „Hamburg Faktor“: „Ich erlebe nun schon seit Jahrzehnten eine mehr oder weniger orientierungslose Hafenpolitik.“ Rathaus und Wirtschaftsbehörde haben es seit langem versäumt, die Strukturen im Hafen, vor allem im Containerbereich, an den sich laufend weiter entwickelnden Markt anzupassen. Es gibt de facto keinen Wettbewerb im Hafen, weil Hamburg diesen nicht gefördert hat. Das führt im Laufe der Zeit zwangsläufig dazu, dass der Hafen insgesamt an Wettbewerbsfähigkeit verliert. „Und es gibt keine Reederei-eigenen Terminals, die in den Wettbewerbshäfen vor allem für das Wachstum verantwortlich sind, obwohl einige Containerreedereien seit Jahrzehnten hieran Interesse zeigen“.
„Die Hamburger Hafenpolitik erkennt nicht, und das ist Kern des Problems, dass zwischen der Verantwortung für den Hafen insgesamt und dem Engagement als Mehrheitsgesellschafter in einem Hafenunternehmen ein Interessenkonflikt besteht“. „Rotterdam und Antwerpen haben einen vergleichbaren Interessenkonflikt bereits vor vielen Jahren aufgelöst. Beide konzentrieren sich auf die Entwicklung der Häfen an sich und überlassen das Umschlaggeschäft privaten Unternehmen“.
Ausdruck dieser „orientierungslosen Hafenpolitik“ sei auch, dass es schon lange keinen realistischen Hafenentwicklungsplan, kurz HEP, für die mittel- und längerfristige Hafenplanung mehr gibt. Der aktuelle HEP sei inzwischen um die zehn Jahre alt. Killinger: „Er war bereits vom ersten Tag an für Hafenplanung und -entwicklung irreführend, weil er von unrealistischen Mengenentwicklungen vor allem im Containerumschlag ausging. Es ist ein Versäumnis, dass der HEP nie angepasst wurde.“ Tatsächlich war damals für den Hamburger Hafen spätestens für die Mitte der laufenden Dekade ein Containerumschlag von rund 25 Millionen TEU vorausgesagt worden. Eine Menge, von der heute niemand mehr etwas hören will.
Angesprochen auf den aktuellen Streit zwischen Hafenunternehmensverband und Wirtschaftsbehörde sagt Killinger: „Ich halte es nicht für richtig, vor allem die HPA für diese grundsätzlichen Themen des Hamburger Hafens verantwortlich zu machen. Die wirklichen Herausforderungen für den Hafen sind nicht zu hohe Mieten oder Hafenschlick, sondern die geschilderten Strukturen insgesamt. Hierfür ist die HPA nicht zuständig“. „Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob die Stadt die Überlegungen von HHLA und Eurogate, in der deutschen Bucht den Containerumschlag zusammen zu legen, unterstützen sollte“, so Killinger weiter. „Damit wird das Problem fehlender zeitgemäßer Marktstrukturen, fehlenden Wettbewerbs, nicht beseitigt, sondern perpetuiert. Ein weiterer Bedeutungsverlust im Vergleich zu Rotterdam und Antwerpen wird die Folge sein“.
Killinger fordert, zügig einen neuen HEP zu erstellen. Dieser müsse auf „realistischen Mengenprognosen“ beruhen. Und weiter: „Zugleich sollte man nüchtern überlegen, mit welcher Nutzung bisheriger Hafenflächen die beste Wertschöpfung für Hamburg insgesamt erreicht werden kann.“ Killinger verweist auf die vor knapp 30 Jahren getroffene Entscheidung, die HafenCity auf dem Nordufer der Elbe zu entwickeln und dafür klassische, aber nicht mehr zeitgemäße Hafenflächen aufzugeben. Der Hafen-Experte in der Rückschau: „Das war eine sehr weitsichtige und gute Entscheidung.“
Vor diesem Hintergrund sollte man daher beispielsweise gleich den gesamten „Kleinen Grasbrook“ aufgeben und nicht nur einen Teil davon. Zur Erinnerung: Den Grundstein für diese Teil-Umwidmung legten der damalige SPD-Grünen geführte Senat und die Hafenwirtschaft im September 2017 in einem besonderen Deal. 46 Hektar der Fläche sollten demnach für Wohnungsbau und Gewerbe, die restlichen 53 Hektar weiter für Hafen und Logistik genutzt werden. So wird beispielsweise das Überseezentrum (ÜZ), einst zur HHLA gehörend, abgerissen. Es gehört dem Unternehmen schon seit geraumer Zeit nicht mehr.
Für Killinger sollte der ganze „Kleine Grasbrook“ zu einer „HafenCity 2.0“ weiterentwickelt werden, also die Fortsetzung der Entwicklung mit dem „Sprung über die Elbe“ auf dem Südufer des Stadt-prägenden Flusses. Die Entwicklung der „HafenCity 1.0“ soll bis Ende des Jahrzehnts im Wesentlichen abgeschlossen sein.
Der Logistik-Fachmann ist davon überzeugt, dass die heute noch auf dem Kleinen Grasbrook anzutreffenden Logistik- und Umschlag-Funktionen – herausragend ist dabei der O’Swaldkai, ein Multifunktionsterminal – zum Beispiel auf die seit nunmehr zehn Jahren brachliegenden Flächen im (ehemaligen) Mittleren Freihafen, also auf Steinwerder, verlagert werden könnten. Dabei räumt der Hafenfachmann sehr wohl ein, dass „diese Lösung im ersten Schritt wegen der Kosten für Betriebsverlagerungen etc. zwar teuer wäre, ähnlich wie bei der HafenCity 1.0“. „Aber für Hamburg als Ganzes wäre ein solcher Schritt langfristig volkswirtschaftlich sinnvoll. „Man kann es auch anders ausdrücken“, so Killinger: „Es ist ein Glücksfall für Hamburg, nicht in gleichem Maße vom Hafengeschäft abhängig zu sein wie andere Häfen.“ Anders als viele andere Städte hat Hamburg die Chance, nicht mehr benötigte Hafenflächen für andere attraktive Stadtentwicklungs-Zwecke zu nutzen. „Viele andere große Städte sind diesen Weg gegangen, nicht zuletzt New York oder auch London“, sagt Killinger augenzwinkernd. EHA