Helgoland kämpft um die Börteboote

Foto: Archiv
Im verrauchten Büro des Brückenkapitäns herrscht Nebel.
Um den alten Tisch sitzen Männer in Fischerhemden, darunter Karl-Heinz, Klaus, Adolf und als einzige Frau, Lilo. Hinter ihnen hängen Schwarz-Weiß-Bilder von ernst dreinblickenden Börteboot-Kapitänen, „die im Meer geblieben sind“, wie Brücken-Kapitän Bernhard anmerkt. Sie alle eint die Sorge um die traditionsreichen Holzboote, die praktisch jeder Helgoland-Tourist kennt.
Auch an dem an manchen Ecken etwas aus der Zeit gefallenen Helgoland geht die Entwicklung nicht vorbei. Die Börteboote wurden benötigt, um die Besucher von den Ausflugsdampfern auf Deutschlands einzige Hochseeinsel zu bringen. Doch jetzt finden manche auf der Insel das Ausbooten nicht mehr zeitgemäß. Barrierefrei soll der Zugang sein und so sollen mehr Touristen angelockt werden. Dazu sollen mehr Anlegemöglichkeiten entstehen. Das Ende der Börteboote?
Nicht, wenn es nach dem Willen Lilos und der Männer im Brückenbüro geht. Auch sie glauben nicht ernsthaft, dass sie die Entwicklung aufhalten können. Aber versuchen kann man das ja mal. Jetzt wollen sie das Ausbooten als immaterielles deutsches Kulturerbe schützen lassen. „Der Antrag ist schon weitgehend fertig“, sagt Holger Bünning. Nächstes Jahr soll er beim Kulturministerium in Kiel abgegeben werden.
Bünning, gebürtiger Hamburger, lebt seit sechs Jahren auf Helgoland, in der Saison hilft er den Börte-Crews. „Das ist eine wahnsinnige, einmalige maritime Tradition“, sagt er. „Wo gibt es das schon, dass jeder Gast persönlich begrüßt und in den Arm genommen wird?“
Vor 300 Jahren sorgten Fischerei, Lotserei und die Bergung von Schiffen in Seenot oder von angeschwemmten Gütern für einen gewissen Wohlstand auf der Insel. Während der Kontinentalsperre Napoleons gegen die britischen Inseln (1806-1811) ermöglichten Einnahmen von Blockadebrechern und Schmugglern einen kräftigen Zusatzverdienst, beschreibt Insel-Historiker Erich-Nummel Krüss die damalige Situation.
Als diese Einnahmen weniger wurden, bauten die Insulaner Helgoland zum Seebad auf. Der Haken: Es gab keinen vernünftigen Hafen und keine Seebrücke. Bis zum Bau der ersten Anlegestelle 1869 wurden die Gäste mit Ruderbooten („Rudder“) von den Dampfern in Ufernähe gebracht und dann von kräftigen Männern die letzten Meter an Land getragen.
Das Ausbooten heißt „Börte“ und komme ursprünglich aus dem Niederländisch-Friesischen, sagt Bünning. Beurt oder Bört bedeute „Reihe“. „Ik hoa en beert“ heiße soviel wie: „Ich bin an der Reihe.“
Ist Ausbooten ein Kulturerbe? Zum immateriellen Kulturerbe gehören dem UNESCO-Abkommen von 2003 zufolge „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten – sowie die dazu gehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume –, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen“. Bislang gibt es in Deutschland 34 Einträge als immaterielles Kulturerbe. Dazu zählen etwa die Genossenschafts idee, die Brotkultur und, dem Ausbooten nicht unähnlich, die Flößerei.
In den 1970er Jahren, der Hochzeit der Börteboote, gab es hier 38 dieser schweren, offenen Boote, sagt Lilo (69), die 2002 als erste Frau bei der Börte fest angestellt wurde. Die Boote sind acht bis zehn Meter lang, gut drei Meter breit und acht bis zehn Tonnen schwer.
Wenn Lilos Mann Klaus über die Boote spricht, kommt er richtig in Fahrt. So viel wie ein Einfamilienhaus, 250.000 bis 300.000 Euro koste so ein hochseetaugliches Boot. „Alles aus Eiche, mindestens zehn Jahre abgelagert. Da kriegst du ohne Vorbohren keinen Nagel und keine Schraube rein.“
„An den Börtebooten hängen etwa 40 Familien“, sagt sein Sohn Sven (42). „Da werden einige Leute arbeitslos, wenn es das Ausbooten nicht mehr gibt.“ Seit 1952, sagt Bünning, hat die Börte mehr als 25 Millionen Menschen sicher ein- und ausgebootet. „Und was bedeutet schon barrie refrei? Wenn ein Rollifahrer kommt, heißt es bei uns einfach: „Vier Mann, vier Ecken“. Und schon ist er im Boot.“
Die Gemeinde Helgoland unterstützt den Antrag „zu 100 Prozent, finanziell und auch politisch“, sagt Bürgermeister Jörg Singer. „Wir wollen das Börteboot auf jeden Fall erhalten, sei es als Barkasse oder für Rundfahrten, Naturkundefahrten, Heiraten oder Seebestattungen.“ Ob die neue, 30 bis 40 Millionen Euro teure Landungsbrücke, an der die Fähren künftig anlegen sollen, tatsächlich bis 2020 komme, sei noch unsicher. „Das Ausbooten selber zu erhalten wird schwierig“, räumt er ein, „denn das regelt der Markt.“
Im Brückenbüro reden sich die Börte-Kapitäne und Helfer die Köpfe heiß. Karl-Heinz wettert gegen die Politiker. „Der Südhafen ist ein Desaster“, sagt der 69-Jährige. „Bei Ostwind können die Schiffe da gar nicht liegen.“
Plötzlich kommt Bewegung in die Gruppe, ein Ausflugsdampfer ist in Sicht. Lilo und die Männer springen in die schweren Boote. Motoren starten und mit 125 PS geht es den nächsten Inselbesuchern entgegen. „Und so soll es auch bleiben“, fordern die Börte-Kämpfer. lno/FBi