Hinter allen Häfen liegt ein großer Kraftakt

30 Jahre Deutsche Einheit: Im zweiten Teil der in vergangenen Woche gestarteten Serie über die Entwicklung der maritimen Wirtschaft in der ehemaligen DDR nach Wende und Wiedervereinigung widmet sich THB-Autor Thomas Schwandt den Seehäfen in Mecklenburg-Vorpommern.

Die politische Wende in der DDR bedeutete für die wichtigsten Seehäfen des Landes zugleich Einbruch und Umbruch. In Rostock, Wismar, Stralsund und Mukran auf Rügen brach vor 30 Jahren der Güterumschlag in kurzer Zeit dramatisch zusammen. Verzeichnete 1989, dem Jahr des Falls des „Eisernen Vorhangs, etwa der Überseehafen Rostock mit fast 21 Millionen Tonnen umgeschlagener Güter noch das beste Jahresergebnis seit Inbetriebnahme des Hafens 1960, so war 1990 diese Gütermenge auf acht Millionen Tonnen geschrumpft.

Ähnlich erging es den anderen im volkseigenen Kombinat Seeverkehr und Hafenwirtschaft (VEB) eingebundenen Seeumschlagsplätzen. Von den Häfen nicht zu beeinflussende historische Umstände führten dazu, dass den Hafenkränen schlagartig die Arbeit ausging. Mit Einführung der D-Mark als gesamtdeutschen Zahlungsmittel am 1. Juli 1990 wurde den erheblichen Ausfuhren von Gütern ins sogenannten nichtkapitalistische Ausland der Garaus gemacht.

Die „sozialistischen Bruderstaaten“ konnten fortan Rechnungen in konvertierbarer Währung nicht begleichen. Im Gegenzug waren Importe aus dem Osten nicht mehr gefragt. Zudem mussten sich exportorientierte DDR-Betriebe keiner staatlichen Order mehr unterwerfen, ihre Erzeugnisse über die einheimischen Häfen in die Welt zu verbringen. Für den Handel mit Übersee nutzten die Betriebe die kürzeren Marktzugänge über die Nordsee-Häfen, allen voran Hamburg und Bremen, aber auch Benelux-Standorte wie Rotterdam und Antwerpen.

Dass ein Hafen wie Rostock zum „Tor zur Welt“ für den anderen Staat auf deutschem Boden aufrücken konnte, war eine politische Vorgabe des DDR-Regimes. Die „junge Republik“ (O-Ton der Zeit) strebte bei der Abwicklung ihres seewärtigen Außenhandels nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Transporte über westliche Häfen zu führen, bedeutete auch, dafür kostbare Devisen dafür aufzuwenden.

Tatsache ist, dass die Häfen Rostock, Wismar und Stralsund bereits zu Zeiten der Hanse im Mittelalter bedeutende Umschlagsplätze für den Nord- und Ostseeraum waren. Über die Jahrhunderte verloren sie ihren einstigen Stellenwert gegenüber Konkurrenten wie beispielsweise dem heute zu Polen gehörende Stettin oder Hamburg.

Die nach dem Zweiten Weltkrieg vorhandenen Umschlag-Kapazitäten auf DDR-Staatsgebiet reichten für den ab den 1950er-Jahren stark wachsenden Seehandel nicht mehr aus. Hinzu kam, dass die DDR auf eine eigene Handelsflotte setzte und die damit einhergehenden Aktivitäten unter dem Dach der staatseigenen Deutschen Seereederei (DSR) bündelte. Der zentrale Heimathafen für diese Flotte stand damit auch fest: Rostock.

Binnen drei Jahren wurde in der Warnowstadt ab Ende der 1950er-Jahre ein neuer Hafenteil im Wortsinne aus dem Boden gestampft – ein gewaltiger Kraftakt. Der Überseehafen wurde am 30. April 1960 eingeweiht. Als erster Frachter löschte damals MS „Schwerin“ der DSR, aus Ostasien kommend, Ladung im neuen Hafen, dem der damalige SED-Chef Walter Ulbricht eine entscheidende Rolle „für den überseeischen Weltverkehr der Deutschen Demokratischen Republik“ zumaß. Anmerkung: Eigentlich sollte der 60. Geburtstag des Überseehafens in diesem Jahr groß gefeiert werden, doch das Corona-Geschehen machte dieses Vorhaben zunichte.

Die kleineren Häfen wie Wismar und Stralsund spezialisierten sich in den folgenden Jahrzehnten auf Güter wie Kali, Salze, Baustoffe, Holz sowie Metalle, während dem Überseehafen Rostock die Rolle eines großen Universalhafens zukam, in dem es später auch Container- und Ro/Ro-Umschlag und auch Passagierverkehre gab. Zu Beginn der 1980er-Jahre führten wirtschaftliche, aber vor allem auch politische Erwägungen im benachbarten Polen, als dem Transitland im Warenaustauch mit der ehemaligen Sowjetunion, zu ersten Rissen in den Fundamenten des sogenannten Ostlocks.

Vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung, auf dem Gebiet der DDR einen ganz neuen Hafen zu entwickeln und zu bauen. Bei der Suche nach dem geeigneten Standort fiel die Wahl schließlich auf die Insel Rügen. Hier existierte bereits ein Fähr- und Fischereihafen in Sassnitz. Das neue Hafen- und Transportkonzept sah vor, einen Hafen mit einer starken Eisenbahnkomponente zu bauen. So fiel der Blick auf den Nachbarort Mukran, bis dahin ein kleines Dorf.

Bis 1986 entstand in Mukran der neue Hafen für den Eisenbahnfährverkehr. Die Route: Mukran-Klaipeda in Litauen war entstanden, das damals ebenfalls Bestandteil der Sowjetunion war. Auch in Klaipeda, dem ehemaligen (deutschen) Memel, war eine vergleichbare Umschlaganlage entstanden. Zur Durchführung der Seetransporte wurden Eisenbahnfähren gebaut. Sechs Schiffe waren geplant, aber nur fünf wurden fertiggestellt. Sie entstanden auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar. Zu den bahntechnischen Besonderheiten in Mukran gehörte auch eine „Umspureinrichtung“ für die russischen Breitspurwaggons.

Die politische Neuausrichtung der DDR traf auch Mukran. Für eine respektable Grundauslastung sorgte, dass ein erheblicher Teil der Ausrüstung der in der DDR stationierten militärischen Ausrüstung der sowjetischen Streitkräfte über Mukran abtransportiert wurde. Doch die Operationen endeten 1994.

Die einst unter zentraler staatlicher Kontrolle stehende DDR-Seeverkehrswirtschaft wurde ab 1991 durch die Treuhandanstalt im Zuge der Privatisierung entflochten. Die Seehäfen wurden zumeist der öffentlichen Hand übereignet.

Ausgehend von der jeweiligen geographischen Lage und Umschlagspezifik entwickelten die Häfen tragfähige Zukunftskonzepte. So richtete sich Stralsund weiter auf den Nord- und Ostseeverkehr aus, Wismar setzte zunächst auf die bewährten Güterströme wie Kali und Salz, später ergänzt und und stark ausgebaut auf Holz. Aufwändiger und schwieriger gestalteten sich die Umstrukturierungen im Überseehafen Rostock, dem einistigen „Tor zur Welt“ für den anderen Staat auf deutschem Boden. An der Warnow war vor allem der Wegfall der Überseelinien zu verkraften. Neue Ladungsmengen wurden gesucht. Bereits im Oktober 1990 wurde im Überseehafen eine neue Fährlinie zum dänischen Gedser initiiert, die sich vor allem die direkte Anbindung des Hafens zur Autobahn A 19 (Rostock-Berlin) zunutze machte. 1992 stieg die TT-Line in den Fährdienst von Rostock ins schwedische Trelleborg ein, wenig später brachten auch die damalige Deutsche Fährgesellschaft Ostsee (DFO) und SweFerry Schiffe auf dieser Route in Fahrt.

Im weiteren Verlauf wurden der Warnow-Kai und Pier I zum Fähr- und RoRo-Anleger ausgebaut, so dass heutzutage gut zwei Drittel das gesamten Umschlags von mehr als 25 Millionen Tonnen auf die rollende Ladung entfallen.

Keine Zukunft hatte in Rostock der Containerumschlag, für den noch zu DDR-Zeiten entsprechende Umschlagtechnik installiert worden war. Noch zum Ausklang der 1990er-Jahre gab es den Traum von einer „Rostock-Atlantik-Linie“, um doch noch einen Fuß in den Übersee-Containerverkehr zu bekommen.Erfolglos. Die 1990er-Jahren waren für den Hafen Rostock eine emotionale Achterbahnfahrt. Es erwies sich dabei als richtig, weiter auf einen Universalhafen mit verschiedenen Geschäftsfeldern und ab den 2000er-Jahren auch auf das Kreuzfahrtsegment zu setzen. Heute ist Rostock der größte Universalhafen an der deutschen Ostseeküste.

Neben dem klassischen Güterumschlag stellte das Hafenmanagement auch Weichen für Industrieansiedlungen. Gesucht und gefunden wurden in Rostock, Wismar oder Mukran Unternehmen, die für ihre logistischen Abläufe auf eine am seeschifftiefen Wasser nicht verzichten wollen und können. EHA

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