Jagd nach dem Silberschatz der Weltmeere

Geballte Technik und Muskelkraft: Der Arbeitsalltag an Bord von Hochseefischerei-Fahrzeugen war fordernd und auch gefahrvoll, Foto: Schwandt


Geballte Technik und Muskelkraft: Der Arbeitsalltag an Bord von Hochseefischerei-Fahrzeugen war fordernd und auch gefahrvoll, Foto: Schwandt

Geballte Technik und Muskelkraft: Der Arbeitsalltag an Bord von Hochseefischerei-Fahrzeugen war fordernd und auch gefahrvoll, Foto: Schwandt
Zum breit gefächerten maritimen Cluster der ehemaligen DDR gehörte auch eine leistungsstarke Fischereiwirtschaft, bestehend aus einer vergleichsweise großen Hochsee- und auch Küstenfischerei, Spezialhäfen, einer fachbezogenen Forschung sowie einer auf dieses Segment ebenfalls spezialisierten Werft-Industrie. Im dritten Teil der THB-Serie über die maritime Industrie der ehemaligen DDR geht THB-Autor Thomas Schwandt auf dieses interessante Kapitel ein. Er berichtet aus erster Hand, da er seinerzeit selber einige Monate an Bord eines Hochseetrawlers mitgefahren war.
Mit Ausnahme der Gewässer in Fernost jagten die Hochseefischer der DDR in beinahe jedem Winkel der Ozeane nach dem „Silberschatz der Meere“, erkundeten Fanggründe im Südostpazifik, im Indischen Ozean und hoch im Norden, westlich von Grönland.
Ende der 1960er-Jahre, in den Hochzeiten der sogenannten Flottillenfischerei, schwärmte eine Armada von über 100 Fangschiffen mit der DDR-Flagge am Heck aus, um den staatlichen Auftrag zu erfüllen, mit hohem eigenen Fischaufkommen einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung beizutragen.
Bereits mit dem Befehl Nr. 11 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 11. Januar 1946 war den ostdeutschen, damals ausschließlich „vor dem Kirchturm“ die Netze auswerfenden Fischern diese Aufgabe auferlegt worden. Dieser Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht entwickelte sich nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 nachträglich gewissermaßen zur Geburtsurkunde der Hochseefischerei im einstigen „Arbeiter-und-Bauern-Staat“, so der offizielle Sprachgebraucht. In den Jahren 1950 und 1952 wurden mit den Fischkombinaten Rostock und Sassnitz die industriellen Zentren des Fischfangs und der Fischverarbeitung markiert.
Die ersten fünf neu gebauten, jeweils 38 Meter langen Rostocker Logger wurden 1950 noch in Sassnitz in Dienst gestellt. Das weitläufige Gelände der ehemaligen Heinkel-Flugzeugwerke in Rostock-Marienehe, direkt an der Warnow, wurde erst zu einem späteren Zeitpunkt für die Entwicklung eines großen Fischereihafens hergerichtet. Es folgten schnell weitere 30 Schiffe dieses „Rostocker Logger“-Typs. Diese Plattformen ebneten damit den Weg zur Entwicklung der Hochseefischerei im anderen Staat auf deutschem Boden.
Die Logger und wenig später auch Seitentrawler gingen in der Nordsee sowie vor Island und in der Barentssee auf Fischzug. Zu den bemerkenswerten Mosaiksteinen deutsch-deutscher Geschichte gehört dabei, dass auf den neuen Rostocker Schiffen eine ganze Reihe von Kapitänen „aus dem Westen“ – also aus der alten Bundesrepublik – das Kommando hatten. Sie stammten aus Kiel, Bremerhaven, Hamburg und Cuxhaven und suchten für sich neue berufliche Perspektiven in der DDR. Zumeist arbeitslos, verfügten sie vor allem über reichlich Erfahrungen in der Hochseefischerei. Nicht wenige blieben im anderen Teil Deutschlands und avancierten so zu „Helden der ersten Stunde“ im Osten.
In den 1960er-Jahren – die globalen Fischgründe waren noch nicht in ökonomische Zonen fragmentiert – baute die DDR die Hochseefischerei konsequent aus. Ziel war es, den Eigenfang so weit zu erhöhen, dass möglichst auf Importfisch verzichtet werden konnte, der in „harten“ Westwährungen zu bezahlen war. Mit der Konstruktion und dem Bau von immer größeren und leistungsfähigeren Fang- und Verarbeitungsschiffen waren im Besonderen die staatlichen Werften in Stralsund, Wolgast, Wismar und Boizenburg an der Elbe betraut.
Mit der Plattform ROS 316 „Junge Welt“ und ROS 317 „Junge Garde“, jeweils 141 Meter lang und mit 10.192 BRZ vermessen, kamen 1967 die größten deutschen Fischereifahrzeuge in Fahrt. Auf den Fangplätzen fungierten diese zumeist als sogenannte Basisschiffe. In die Konstruktionen flossen seit Mitte der 1950er-Jahre auch Forschungsergebnisse des damals in Rostock gegründeten Instituts für Hochseefischerei und Fischverarbeitung ein. Fang- und Netztechnik wurden stetig verbessert, um die Fischerei zu erleichtern und zu intensivieren. Doch alle wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse halfen ab den 1970er-Jahren wenig gegen die sich verschärfenden internationalen Rahmenbedingungen. Viele Küstenländer proklamierten eine 200-Seemeilen-Fischereizone.
Um in diesen Seegebieten weiter fischen zu können, mussten fortan Lizenzen dafür erworben und zudem in Valuta, als harten West-Währungen, bezahlt werden. Die Kosten für die ohnehin bezuschusste DDR-Hochseefischerei – Staatsdoktrin war es, den Fischpreis für die Bevölkerung möglichst gering zu halten – schossen extrem in die Höhe. Dreistellige Millionenbeträge an DDR-Mark als Subventionen waren notwendig, um den Fischereibetrieb aufrechterhalten zu können.
Während in der Bundesrepublik die Hochseefischerei ab den 1960er- und 1970er-Jahren sukzessive schrumpfte, hielt die DDR-Führung an dem aufwendigen Geschäft fest. Kreativ wurde versucht, irgendwie mit den misslichen Umständen klarzukommen und die Kosten zu reduzieren. Dazu gehörte zum Beispiel auch, dass die Fang- und Verarbeitungsschiffe nur noch selten den Heimathafen Rostock sahen. Die Schiffe verblieben bis zu zwei Jahre auf hoher See, die Besatzungen wurden auf dem Luftweg zwischenzeitlich ausgetauscht.
Auch geriet es zu fischereiuntypischer Normalität, dass zum Beispiel Frosttrawler aus der DDR vor der nordwestschottischen Hafenstadt Ullapool ankerten und Frischfisch von dortigen Fangschiffen übernahmen. Oder: Tausende Tonnen Fisch erreichten erst gar den DDR-eigenen Markt zwischen Rostock und Dresden, sondern wurden in westliche Abnehmerstaaten verkauft. Es ging um harte D-Mark, US-Dollar und anderen Spitzenwährungen. Der Devisenhunger der DDR war extrem ausgeprägt, wissen wir heute.
Bis zu 8000 Menschen arbeiteten in der Hochseefischerei der DDR an Land und auf See. Den meisten von ihnen wurde nach der politischen Wende 1989 und den Folgemonaten binnen kurzer Zeit im Wortsinne der beruflich der Boden entzogen. Ein einzigartiges Bild zu Beginn der 1990er-Jahre symbolisierte den Branchencrash: Im Fischereihafen von Rostock lagen teils in Dreier- und Vierer-Päckchen die heimgekehrten, aber beschäftigungslosen Fang- und Verarbeitungsschiffe, Super-, GTS- sowie Frosttrawler an der Warnowpier. Die Chancen für einen Fortbestand der hochsubventionierten Hochseefischerei in der Marktwirtschaft tendierten gegen null.
Mit der Privatisierung des Fischkombinates Rostock und der ihm zugeordneten Betriebe im Fang-, Verarbeitungs- und Dienstleistungsbereich kam es zu etlichen Firmenausgründungen, die Häfen wurden in kommunales Eigentum überführt. Die Flotte wurde aufgelöst und verteilte sich nacheinander weltweit. Viele Schiffe gingen auch in den Abbruch. Einige Supertrawler sowie die fünf Kühl- und Transportschiffe fanden neue Besitzer unter anderem in China und Griechenland. Von den in den späten 1980er-Jahren in Dienst gestellten GTS-Gefriertrawlern waren die meisten noch jahrelang für die heutzutage in Mukran ansässige Mecklenburger Hochseefischerei GmbH im Einsatz.
Der einstige Basishafen der Fischerei in Rostock-Marienehe firmiert inzwischen als Fracht- und Fischereihafen (RFH). Er ist nunmehr der zweitgrößte Hafen der Hanse- und Universitätsstadt und versteht sich als Universalhafen. Das einstige Kombinatsgelände wurde in den zurückliegenden 30 Jahren gründlich umgestaltet. Gebäude wurden abgerissen, neue Komplexe entstanden. Zudem wurde ein größeres Gewerbegebiet für die maritim geprägte Industrie aufgebaut. Heute sind etwa 150 Unternehmen auf dem rund 60 Hektar großen RFH-Gelände angesiedelt.
Die Erinnerung an die ehemalige Fischereiwirtschaft der DDR wird bei der RFH ebenso wachgehalten wie im Rostocker Schifffahrtsmuseum. Es widmet diesem besonderen Kapitel der maritimen Industrie der DDR einen breiten Raum mit sehr interessanten Exponaten. schw