Schubboot-Konzept als Erfolgsgeschichte

Schubkraft: Leichterverband der Deutschen Binnenreederei (DBR) 1996 auf der Norderelbe im Hamburger Hafen, Foto: Arndt

Klassisches Eigengewächs des Binnenschiffbaus in der DDR: Motorschiff „Dömitz“. Es entstand in Boizenburg, Foto: Schwandt

Fleixibel einsetzbar: Ein „Schuber“ der DBR im Hamburger Hafen, Foto: Arndt
Die ehemalige DDR hatte in den mehr als vier Jahrzehnten ihrer Existenz einen auch für westliche Maßstäbe beeindruckenden maritimen Cluster geschaffen. Eine Säule in diesem Verbund war auch die Binnenschifffahrt, zu der im weiteren Verlauf auch verschiedene Binnenhafenstandorte gehörten. Im Teil 5 der THB-Serie anlässlich des 30. Jahrestags der Deutschen Einheit widmet sich Serien-Autor Thomas Schwandt diesem Verkehrsträger.
Anders als die Fahrensleute in der DDR-Handelsflotte und Hochseefischerei, die mit ihren Schiffen die Weltmeere befuhren, war die Binnenschiffahrt in der DDR in ihrem Aktionsradius begrenzt. Zum operativen Kerngebiet auf DDR-Staatsgebiet gehörten rund 2500 Kilometer Binnenwasserstraßen, das heißt Fluss-Systeme wie zum Beispiel die Elbe oder auch die Oder.
Vornehmlich konzentrierte sich die gewerbliche Binnenschifffahrt auf die östlichen und mittleren Bezirke in der DDR, vor allem im Großraum Berlin-Brandenburg, und zu einem geringeren Maß auf die südlichen Wasserläufe von Elbe und Saale.
Trotz einer streng bewachten Staatsgrenze gab es auch Verkehre von und nach West-Berlin sowie Wechselverkehr mit der alten Bundesrepublik und auch darüber hinaus in die Benelux-Länder.
In dem Zusammenhang sei noch auf eine Besonderheit verwiesen, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann: Weil das DDR-Führungsregimen stets in großer Sorge war, dass – spätestens ab dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 und der weiteren Verfestigung und Militarisierung der innerdeutschen Grenze – ihre Bürger „Republikflucht“ begehen könnten. Diese wurden in der DDR mit härtesten Bestrafungen belegt. Für ostdeutsche Schiffsbesatzungen etwa, die über kein Visum für die BRD und West-Berlin verfügten, wurde es zur Auflage gemacht, bei einer Transitpassage ihrer Schiffe durch das Kanal- und Fluss-System in West-Berlin, vorher von Bord zu gehen. Sie mussten dann die auf dem Berliner Außenring fahrenden Nahverkehrszüge benutzen und so West-Berlin „umkurven“. Im Ost-Teil angekommen, durften sie dann wieder ihre Schubboote und Motorgüterschiffe übernehmen, die von extra Überführungscrews durch den West-Teil der Stadt bugsiert wurden.
In der Schlussphase der DDR umfasste die Gesamtflotte aus Trockenfrachtern, Tankschiffen sowie Schubbooten und dazugehörigen Leichtern (Bargen) über 1500 Einheiten unterschiedlicher Größte und Leistung. In der klassischen Binnenschifffahrt wurden im Land- und im Bordbetrieb etwa 2400 Mitarbeiter beschäftigt.
Die Binnenschifffahrt in der DDR hatte einen vergleichsweise kleinen Anteil am nationalen Modal-Split. Dieser bewegte sich bei etwa zwei Prozent Gesamtgütertransportleistung. Was die Ladungsarten betraf, dominierten bei der Binnenschifffahrt wie auch beim Verkehrsträger Bahn (Deutsche Reichsbahn) in der DDR Massengüter. Braunkohle-Transporte für die Energieversorgung der DDR-Kraftwerke liefen vorzugsweise als Massengut über Flüsse und Kanäle.
Wie in der Handelsschifffahrt, dem Fischereisektor oder auch bei den Werften, erfolgte der (Wieder-)Aufbau einer Binnenschifffahrt in der „Sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ), später dann der DDR, nach dem Zweiten Weltkrieg unter denkbar schwierigen Rahmenbedingungen.
Die sowjetische Besatzungsmacht hatte zunächst sämtliche in der „Ostzone“ verbliebene Schiffstonnage auf den Binnengewässern beschlagnahmt. In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges waren noch zahlreiche Binnenschiffe, Schleppdampfer, Leichter und so weiter in den Bereich der späteren Westzonen-Gebiete verlegt worden.
Was im Osten nicht der Reparation anheimfiel, wurde auf den Ost-Wasserstraßen sukzessive für die Durchführung lebenswichtiger Gütertransporte eingesetzt. Um diese zu koordinieren, hob die sowjetische Militäradministration bereits 1946 die „Arbeitsgemeinschaft Binnenschifffahrt“ aus der Taufe.
Aus dieser gründete sich dann Anfang Oktober 1949 der „Verbund Deutsche Schiffahrts- und Umschlagbetriebe (DSU)“. Zur zeitlichen Einordnung: Das offizielle Gründungsdatum der DDR ist der 7. Oktober 1949.
Etwa zum Ende der 1950er-Jahre wurde dieser Verbund durch die DDR-Wirtschaftsplaner in mehrere Unternehmen aufgespalten und damit neu organisiert. Eine dieser Ausgründungen war die Deutsche Binnenreederei Berlin (DBR). Sie firmierte ab 1977 unter dem Namen „Binnenreederei Berlin“.
Bis zum Ende der DDR und dem Beitritt zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 managte das Unternehmen nahezu alle Transportaktivitäten auf den ostdeutschen Binnenwasserstraßen.
Die nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf dem Gebiet der späteren DDR entstandene „Forschungsanstalt für Schifffahrt, Wasser- und Grundbau“ sowie bis zu zehn kleinere und größere Binnenwerften ermöglichten es der Deutschen Binnenreederei, die eigene Flotte innerhalb weniger Jahre zu modernisieren und auszubauen.
Allein in den Jahren 1960 bis 1964 lieferten die Werften in Oderberg (Havel), Boizenburg (Elbe) und Roßlau (Elbe) an die Staatsreederei 104 Motorgüterschiffe. Einen wichtigen, technischen Impuls erhielt die Binnenschifffahrt in der DDR zu Mitte der 1960er-Jahre mit der Eigenentwicklung und dem Bau von Schubbooten, umgangssprachlich auch als „Schuber“ ein Begriff, und dazugehörigen, auf die operativen Möglichkeiten der verschiedenen Fluss-Systeme sowie Kanäle einschließlich der dazugehörigen Schleusen zugeschnittenen Transportleichtern.
Diese Entwicklung verfolgte man auch im Binnenschiffssektor der alten Bundesrepublik mit besonderem Interesse. Experten bescheinigten ihren Berufskollegen im Osten, dass „die Schubschifffahrt in der DDR das technologisch ausgefeilteste und den Wasserstraßen am besten angepasste Transportsystem“ sei.
Auch die ab 1957 staatlich verordnete Fachausbildung für das in der gewerblichen Binnenschifffahrt benötigte Fachpersonal war richtungweisend. Die Aspiranten schlossen ihre breitgefächerte, praxisorientierte Berufsausbildung mit entsprechenden offiziellen Zertifikaten ab.
Eigens für die Facharbeiterausbildung zum „Vollmatrosen der Binnenschifffahrt“ wurde in Schönebeck/Frohse an der Elbe eine eigene Berufsschule gebaut. Pro Jahrgang durchliefen bis zu 150 Jugendliche diese spezielle Bildungsstätte. In der auf zwei Jahre angelegten Lehre drückten sie jeweils für zwölf Wochen die Schulbank („Blockunterricht“) und lernten in den folgenden zwölf Wochen die Praxis an Bord kennen.
Bis 1989, dem Jahr des Falls der Berliner Mauer, durchliefen insgesamt 5100 junge Menschen eine Binnenschiffer-Ausbildung in der DDR.
Wie in allen anderen Sparten der maritimen Wirtschaft der DDR kam es nach der „politischen Wende“ im Jahr 1989 im Land auch in der Binnenschifffahrt zu umfangreichen Umwälzungen.
Statt die Reederei flott zu machen für die Herausforderungen in der „neuen“ Marktwirtschaft, verfolgte die von Berlin aus geführte Treuhandanstalt das Ziel, das einstige Staatsunternehmen möglichst rasch zu privatisieren. Doch dieses Unterfangen scheiterte, so dass 1992 rund zwei Drittel der gesamten Flotte aufgelegt wurden und rund 2000 Mitarbeiter plötzlich ohne eine Beschäftigung da standen.
Kurze Zeit darauf gelang es, die Deutsche Binnenreederei (DBR) neu zu gründen. Das gelang auch dank der Initiative ehemaliger Binnenschiffer, die sich mit etwa 200 Schiffen unter dem Dach der Reederei selbstständig machten. In wenigen Jahren schaffte es das Unternehmen, die transportierte Gütermenge im Jahr 1998 gegenüber dem Niveau nach der Wende (1989) auf zwölf Millionen Tonnen zu verdoppeln.
Auch das fällt in diesen Betrachtungszeitraum: Die neu strukturierte, weiterhin von Berlin aus geführte Deutsche Binnenreederei, trennte sich von einem Großteil der einstigen Flotte und behielt vor allem leistungsstarke Motorgüterschiffe und Schubeinheiten in Fahrt.
Nach der Umwandlung der DBR in eine Aktiengesellschaft (AG) zu Beginn der Jahrtausendwende stieg 2007 das polnische Logistikunternehmen Odratrans S.A., später OT Logistics S.A., mehrheitlich ein. Es entstand so eine der größten Binnenreederei-Gruppen Europas, die mit mehr als 800 Schiffseinheiten vornehmlich in Zentral- und Westeuropa unterwegs ist.
Zur breit angelegten Ladungspalette gehörten Container ebenso wie klassisches Massengut, Flüssigladung, Maschinen- und Anlagenteile oder auch Gefahrgütert.
Jahrelang mit einem osteuropäischen Partner gewissermaßen in einem Boot, kam es im Juli 2020 erneut zu einem Wechsel des Mehrheitseigners. Die in Holzwickede verankerte Logistik-, Hafendienstleistungs- und Schifffahrts-Gruppe Rhenus-Gruppe übernahm das Ruder bei der DBR.
Hinweis: Die Geschichte der Binnenschifffahrt in der DDR ist in mehreren Einrichtungen erfasst, dokumentiert und präsentiert. Dazu gehören zum Beispiel das Verkehrsmuseum in Dresden, das Binnenschifffahrtsmuseum in Oderberg oder auch das Rostocker Schifffahrtsmuseum. schw