Zusammentreffen „unglücklicher Umstände“

Seefahrt ist das, was man eine gefahrengeneigte Tätigkeit nennt. Dabei lauern die Gefahren überall, in den Häfen, im klassischen Bordbetrieb, auf hoher See und vielem mehr. Jährlich sinken Schiffe und verlieren Seeleute ihr Leben. Auch wenn jeder Verlust für sich steht, gibt es Untergänge, die so außergewöhnlich sind, dass man sich ihrer noch Jahrzehnte später erinnert.

Mit dem heutigen 12. Januar 2021 jährt sich zum 50. Mal der Untergang des deutschen Stückgutfrachters „Brandenburg“ der Reederei Hapag-Lloyd (H-L) aus Hamburg. Der Frachter sank dabei nicht etwa auf einem der großen Ozeane, sondern gewissermaßen vor der „Haustür“, genau gesagt im vergleichsweise flachen Ärmelkanal, in der Höhe des südenglischen Hafens Folkestone. Bei diesem Unglück kamen 20 Seeleute der insgesamt 31-köpfigen Besatzung ums Leben.

Unter ihnen auch zwei Frauen. Die Reederei Hapag-Lloyd erinnert an diesem Tag ihre Mitarbeiter im firmeneigenen Intranet über diesen Vorgang, der zu den dunkelsten Kapiteln in der langen Unternehmensgeschichte gehört.

Die „Brandenburg“ war zum Unglückszeitpunkt ein Frachter im besten Alter. Gerade einmal 20 Jahre alt – die Indienststellung erfolgte 1951 – und als Schiff selbst ein typischer Repräsentant der zu dem Zeitpunkt noch weltweit stark verbreiteten konventionellen Stückgutfahrt. Die Containerschifffahrt befand sich damals noch in den Anfängen, wenngleich das Transportsystem Container in immer mehr Reedereizentralen, aber auch in den Seehäfen rund um den Globus, als richtungweisend angesehen wurde.

Die „Brandenburg“ ist ein Stückgutfrachter der sogenannten „Burg“-Klasse, die aus insgesamt sechs Einheiten bestand. Neben dem späteren Unglücksschiff waren es die „Duisburg“, die „Magdeburg“, die „Augsburg“, die „Naumburg“ und die „Weissenburg“. Die Frachter gehörten damals zu den ersten Neubauten für die (west-)deutsche Handelsschifffahrt nach dem 2. Weltkrieg. Sie oblagen hinsichtlich Konstruktion, Transportkapazität und auch Geschwindigkeit noch verschiedenen Auflagen der Alliierten. Die „Brandenburg“ und ihre Schwestern wurden auf den renommierten Werften Orenstein & Koppel sowie Lübecker Maschinenbaugesellschaft gefertigt. Die Werften sind längst Geschichte.

Das Frachter-Sextett war mit 2695 BRT (Bruttoregistertonne, heute BRZ) vermessen, hatte eine Tragfähigkeit von 4850 tdw, kam auf eine Gesamtlänge von rund 110 Metern und eine Breite von knapp 15 Metern. Angetrieben wurden sie von einer MAN-Hauptmaschine. Die Reisegeschwindigkeit lag bei maximal 14 Knoten. Für den Umschlag war der Frachter auch mit entsprechender Umschlagtechnik ausgerüstet. Zudem konnte in begrenzten Mengen auch temperaturgeführte Ladung mitgenommen werde. Zur Stammbesatzung gehörten bei der Indienstellung bis zu 36 Mann, später waren es bis zu 32. Zudem konnte auch die „Brandenburg“ eine kleine Anzahl von Passagieren mitnehmen. Frachtschiffreisen waren zu der Zeit durchaus beliebt. In den Folgejahrzehnten verrichtete die „Brandenburg“ wie auch ihre Schwestereinheiten ihren Dienst zuverlässig und ohne besondere Vorkommnisse.

Das änderte sich, als der Frachter unter seinem Kapitän Peter Rahmann am Abend des 11. Januar 1971 zu seiner letzten Reise aufbrach. Der Stückgut-Carrier befand sich auf einer ausgehenden Reise mit dem Ziel Karibik. Neben den beiden deutschen Häfen Hamburg und Bremen sah die Segelliste weitere Anläufe innerhalb der Hamburg-Le-Havre-Range in Rotterdam und Antwerpen vor. Im belgischen Seehafen hatte der Frachter nochmals ein wertvolles Ladungspaket aufnehmen können. „Voll abgeladen“, freuten sich die Schiffsführung und auch die Reederei. Während im Scheldehafen Schiff und Besatzung für die Ausreise rüsten, ereignete sich am am selben Tag ein folgenschwerer Unfall mit zwei anderen Seeschiffen im Ärmelkanal bei Dover. Der Tanker „Texaco Caribean“ und der Frachter „Paracas“ kollidierten miteinander. Der Aufprall führte nicht nur zu einer schweren Explosion, sondern auch dazu, dass der Tanker in zwei Hälften zerbrach. Das Vorschiff sank zwar, doch nicht vollständig. Gefährliche Wrackteile ragten aus dem Wasser. Die „Paracas“ wurde zwar schwer beschädigt, blieb aber schwimmfähig.

Damit nahm das Unglücksgeschehen für die „Brandenburg“ seinen Lauf. Der Frachter verließ den Scheldehafen gegen 18 Uhr mit Kurs Karibik. Der normale Seebetrieb lief. Das alles ist an Bord jedes Schiffes klar geregelt, ist somit Bordroutine. Die Schiffsführung war erfahren, gleiches galt für das Gros der Besatzung, von denen das jüngste Mitglied 19 Jahre alt war.

Dass die „Brandenburg“ nicht einmal neun Stunden nach dem Auslaufen für immer Geschichte sein würde – das ahnte keiner an Bord. Dann geschah das Unfassbare: Gegen 6.30 Uhr am 12. Januar kollidierte der deutsche Frachter mit dem Tanker-Wrackteil, das im Wortsinne keiner auf dem Schirm hatte. Der 1. Offizier, der zum Unglückszeitpunkt Wache hatte, wurde durch den Aufprall wie ein Ball durch die Brücke geschleudert. Was dann geschah, war eine Sache von Minuten. Ein Notruf konnte nicht mehr abgesetzt werden, weil der Strom bereits ausgefallen war. Keine vier Minuten nach der Kollision war die „Brandenburg“ bereits von der Oberfläche verschwunden. Verschiedene Besatzungsangehörigen gingen über Bord.

Gerettet wurden die wenigen Überlebenden der Tragödie dann durch britische Fischer, die zu der Unglücksstelle eilten. Bekannt ist aber auch, dass offenkundig verschiedene Schiffe, die sich in der Nähe zur Untergangsposition befanden, nichts von dem Vorfall mitbekommen hatten und ihre Reise fortsetzten. Die Geretteten wurden nach Folkestone gebracht, versorgt und konnten bereits am 13. Januar mit dem Flugzeug nach Deutschland zurückfliegen. Der Untergang der „Brandenburg“ löste national wie international Schockwellen aus. Auch der THB berichtete damals über den Vorfall.

In der knapp ein Monat nach dem Untergang abgehaltenen Seeamtsverhandlung in Hamburg beschäftigten sich die zahlreichen Experten intensiv auch mit der Frage, was alles getan wurde, um die internationale Schifffahrt in dem stark befahrenen Seegebiet zu warnen. Was konnte die Schiffsführung der „Brandenburg“ von dem vorangegangenen Unfall beim Auslaufen aus Antwerpen bereits gewusst haben?

Bereits wenige Tage später, am 17. Januar 1971, fand unter großer öffentlicher Beteiligung in Hamburg ein besonderer Trauergottestienst statt, den der Senior der Deutschen Seemannsmission, Pastor Kieseritzky, abhielt. Die Hapag-Lloyd AG veröffentlichte in der Tageszeitung „Hamburger Abendblatt“ am 17. Januar 1971 eine großformatige Traueranzeige mit den Namen aller Opfer. „Wir trauern mit den Hinterbliebenen um den schweren Verlust, den das Schicksal uns auferlegt hat. Unsere Flaggen wehen auf Halbmast.“

Der selbstlose Einsatz der englische Fischer an jenem 12. Januar wurde durch die Reederei und den Hamburger Senat mit einer besonderen Feier im Grand-Hotel zu Folkestone am 1. März gewürdigt. Dazu war eigens auch Hamburgs damaliger Wirtschaftssenator Helmuth Kern (gestorben 2016) nach Südengland gereist. Die englischen Retter wurden geehrt.

Der Untergang der „Brandenburg“ stieß auch eine große Diskussion um bessere Rettungsmittel und vieles mehr an. Das Seeamt sprach von einem „Unfall, der auf ein Zusammentreffen ungewöhnlicher Umstände zurückzuführen ist“.

Anlässlich des 50. Jahrestags der Havarie brachte auch der Norddeutsche Rundfunk im Rahmen seines Hafenkonzerts vom 11. Januar 2021 ein Feature über dieses Geschehen. Zudem erschien in der Serie „Schiffe, Menschen, Schicksale“ ein Sonderheft, das auf diesen schweren Seeunfall ausführlich einging. EHA

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