Crew missachtete steigenden Wasserstand

Die Schätzung der Schadenssumme für die Autobahnbrücke liegt bei 3,1 Millionen Euro, Foto: Arndt
Im Prozess um die folgenschwere Kollision eines Binnenschiffs mit der Süderelbbrücke sind überraschende Details zum Hergang des Unglücks im Dezember 2014 bekannt geworden.
Nach übereinstimmenden Angaben von Zeugen und eines der Angeklagten vor dem Amtsgericht hatte das Schiff am Unglückstag eine Stunde später abgelegt als geplant. Der Pegel der Elbe stieg unterdessen wegen der einsetzenden Flut weiter. Schon das Niedrigwasser in der Nacht war höher als üblich ausgefallen, sagte ein Sachverständiger. Der 34 Jahre alte Kapitän aus Berlin hatte nach eigenen Angaben kein Patent für den Hamburger Hafen, der Elb lotse im Steuerhaus soll sich nicht über die Durchfahrtshöhe informiert haben.
Der mit Kohle beladene Schubverband hatte bei Dunkelheit und schlechter Sicht um 5.45 Uhr am Morgen abgelegt, nachdem der Lotse verspätet an Bord gegangen war. Die Süderelbbrücke war nur 750 Meter weiter stromaufwärts. Zunächst prallte der Bug-Mast mit Lampen gegen die Brücke, kurz darauf ein mehrere Meter aufragender Kran. Die Angeklagten fuhren mit dem beschädigten Schiff dennoch ohne Halt bis Geesthacht weiter. Die Wasserschutzpolizei wurde nach Aussage eines Beamten erst gegen acht Uhr über den Unfall informiert.
Der angeklagte Elblotse bestritt vor Gericht zunächst, am Steuer gesessen zu haben. Auf Nachfragen räumte er jedoch ein, das Ruder vor der Elbbrücke übernommen zu haben, „damit das Schiff nicht auf gut Glück gesteuert wird“. Vom Kapitän wollte der Richter wissen, warum er ohne gültiges Patent zunächst noch abgelegt habe. „Na weil das so üblich ist“, lautete die Antwort zur Verwunderung des Richters. Der Sachverständige erklärte, man dürfe als Binnenschiffer auch ohne Hafenpatent in den Hamburger Hafen ein- und auslaufen. Die sich mit dem Wasserstand ändernde Durchfahrtshöhe der Brücke werde erst zehn Meter vor dem Bauwerk an einem Pegel angezeigt. Der Abstand reiche aber nicht aus, ein Schiff zum Stehen zu bringen.
Wegen der unerwartet schwierigen Zeugenbefragungen vertagte das Gericht die Plädoyers und die Urteilsverkündung auf den morgigen Freitag. Der Richter ließ erkennen, dass eine Verurteilung der beiden Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Schiffsverkehrs infrage kommt. Die Anwälte meinten, dass auch eine Einstellung des Verfahrens möglich sei. lno/fab