Gelbspötter, Kleinspecht und 23.000 Bäume

Knapp 20 Jahre nach dem Auszug der letzten Bewohner Altenwerders sorgt im Süden Hamburgs eine geplante Erweiterung des Hafens wieder für Streit. Diesmal sollen allerdings keine Menschen weichen, sondern seltene Vögel wie Gelbspötter oder Trauerschnäpper und 23.000 Bäume.

Der Stadtstaat Hamburg stößt nicht nur an Grenzen beim Ausbau des Hafens. Zugleich wirft der Konflikt ein Schlaglicht auf die Probleme, für planierte Natur und gefällte Bäume im Stadtgebiet Ausgleichsflächen zu finden.

1998 verließen die letzten Bewohner Altenwerder. Heute stehen dort ein hochmodernes Container-Terminal und andere Hafenbetriebe. Von der A7 aus sieht man das letzte Überbleibsel, die alte Dorfkirche, eingerahmt von riesigen Windrädern.

Hamburg will auf den Vollhöfner Weiden in Altenwerder-West Platz für Lager- und Logistik-Flächen schaffen. Trotz sinkender Umschlagzahlen sei das dringend nötig, argumentiert die städtische Hafenverwaltung, die Hamburg Port Authority (HPA). Andere hafennahe Flächen seien kaum noch verfügbar, die Nachfrage von Unternehmen steige stetig. Die Umweltverbände BUND und Nabu klagen gegen die Verordnung, mit der das Hafenerweiterungsgebiet im Mai zum Hafennutzungsgebiet erklärt wurde.

So groß wie der Vatikan

So richtig beeindruckend ist das Gebiet der Vollhöfner Weiden auf den ersten Blick nicht. Ein länglicher Streifen von knapp 45 Hektar, etwa so groß wie der Vatikan in Rom. In der Nachbarschaft im Norden ein Aluminiumwerk und anonyme Lagerhallen, im Süden einige Felder.

Wer die Vollhöfner Weiden betreten will, braucht die Erlaubnis der HPA. Je tiefer es in den Wald hineingeht, desto mehr bleibt der Lärm von Hafen und Autobahn zurück. In den 1960er Jahren war hier ein Spülfeld, Elbschlick wurde darauf gepumpt. 50 Jahre später prägen die vielen Bäume das Bild, vor allem Silberweiden. "Besonders wertvoll ist die über Jahrzehnte ungestörte Entwicklung des Waldes", sagt Frederik Schawaller vom Naturschutzbund Nabu.

Tatsächlich sieht es hier fast aus wie in einem Urwald. Umgestürzte Bäume, zahllose Insekten und Käferarten, die auf Totholz angewiesen sind, Libellen, Schmetterlinge und nur wenige Trampelpfade.
Schawaller sucht das Gelände mit dem Fernglas ab. Er entdeckt den seltenen Schlagschwirl, den Grauschnäpper und einen Eisvogel. Es gibt hier den auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehenden Kleinspecht, aber auch das ebenso gefährdete Fluss Greiskraut.

Ungewöhnliche Artenvielfalt

Das Gebiet ist nach Ansicht von Naturschützern immens wichtig. Auch die von der HPA beauftragten Gutachter kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Besonders wertvoll sei das Areal in Hinsicht auf Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt. Echte Ausgleichsmaßnahmen in unmittelbarer Nähe seien "schlichtweg nicht möglich", stellen die Gutachter der HPA fest.

Wasser auf die Mühlen der Verbände. Die versuchen, die Pläne der HPA mit einer Klage am Verwaltungsgericht zu stoppen. Ihnen ist vor allem das Hafenentwicklungsgesetz ein Dorn im Auge. "Eine echte Hamburgensie", spottet Bernd Quellmalz vom Nabu in Hamburg. Wichtige Beteiligungsrechte der Verbände würden verwehrt.

Auch BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch hält das Vorgehen der HPA für rechtswidrig. Dem Hafenentwicklungsgesetz zufolge ist keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig. Das wurmt die Umweltverbände. "Das Gesetz ist jahrzehntealt", sagt Quellmalz. "Das Umweltrecht hat sich in dieser Zeit erheblich weiterentwickelt." Es gebe klare bundesrechtliche Regelungen, die Hamburg nicht einfach ignorieren könne.

Nachweis feht offenbar

Die Begründung der HPA, dass es im Hafengebiet kaum noch andere geeignete Flächen gebe, bezweifeln die Umweltverbände. Der Nachweis fehle. Zudem gehe Hamburg äußerst verschwenderisch mit dem knappen Platz um, kritisieren die Verbände und sprechen von Missmanagement. Da würden Flächen an Unternehmen vermietet, die nichts mit dem Hafen zu tun hätten. Und das geschehe zu Dumping-Preisen.

Setzt sich die HPA am Ende durch, wird von den fast 45 Hektar nur ein schmaler Grünstreifen entlang der Alten Süderelbe bleiben, insgesamt etwa 8,5 Hektar. "Die Kompensation erfolgt nach den allgemeinen Regelungen und Maßstäben des Umwelt- und Naturschutzrechts", versichert die Behörde.

Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan bedauert: "Die Entscheidung zur Überführung des Gebietes war zum Zeitpunkt der Regierungsbildung im vergangenen Jahr schon so weit fortgeschritten, dass die Planung auch Teil des Koalitionsvertrages wurde." Dies sei ein "schmerzlicher Eingriff in die Natur". Und: "Selbstverständlich muss und wird für die verlorene, wertvolle Naturraumfläche vollumfänglich Ausgleich und Ersatz geschaffen."

Kaum mehr Platz

Für Bodenversiegelung und gefällte Bäume soll Ausgleich geschaffen werden, schreibt das Gesetz vor. In Hamburg wird es dafür eng. "Bei einer Gesamtfläche für Ausgleichszwecke von 985,15 Hektar im Anlagevermögen des Sondervermögens macht der Anteil der außerhamburgischen Flächen 26,6 Prozent aus", heißt es bei der Umweltbehörde. Die mit fast 130 Hektar größte Ausgleichsfläche Hamburgs außerhalb der Stadtgrenze ist die Hörner Au, 50 Kilometer nördlich.

Einen Ausgleich wird es also für die Vollhöfner Weiden geben, allerdings nicht im Raum Altenwerder/Moorburg. Denn das ist, wie schon das HPA-Gutachten einräumt, hier gar nicht möglich. Die HPA denkt an Flächen im Landkreis Lüneburg, "die im Rahmen eines von der Hamburg Port Authority beantragten Ökopools ('Grasgehege') entwickelt werden". Hier zwischen Winsen/Luhe und Lüneburg entstehe "ein großflächiger, naturtypischer Biotopkomplex aus naturschutzbedeutsamen Elementen der Wald - und Wiesenökosysteme" - aber eben 45 Kilometer von Altenwerder entfernt. lno

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