„Nord Stream 2“: Neue Sanktionen und alte Fragen

Hier wartet – und hofft – man auf die Fertigstellung von „Nord Stream 2“: die betriebsbereite Anladestation in Lubmin, Foto: Nord Stream 2/Axel Schmidt
Die USA verschärfen weiter die Sanktionen gegen Beteiligte am Bau der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“. Eine jetzt im US-Repräsentantenhaus verabschiedete Ausweitung des „Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act“ (PEESCA) soll die Fertigstellung des Milliardenprojekts endgültig verhindern. In Deutschland war der Entwurf bereits im Voraus als Eingriff in die Souveränität kritisiert worden. Wie man hierzulande effektiv darauf reagieren könnte, ist aber nicht klar.
Der PEESCA nahm 2019 seinen Anfang. Mit dem ursprüngliche Gesetz zum „Schutz der europäischen Energiesicherheit“ wurden alle Unternehmen und Personen mit Sanktionen in den USA bedroht, die Schiffe für die Verlegung von Pipelines in einer Wassertiefe von mehr 100 Fuß (30 Meter) für die Projekte „Nord Stream 2“ oder „TurkStream“ zur Verfügung stellen. Der republikanische Senator Ted Cruz hatte den Entwurf auf den Weg gebracht und mit existenzbedrohenden rechtlichen und ökonomischen Sanktionen gedroht. Der amtierende US-Präsident Donald Trump unterzeichnete das Gesetz im Dezember. Und prompt kam es zumindest vorübergehend zum Stillstand beim Bau von „Nord Stream 2“.
Zu Beginn dieses Jahres rückte dann das russische Rohrverlegungsschiff „Akademik Cherskiy“ in den Fokus, das in einer mehrmonatigen Überfahrt aus Ostasien in die Ostsee verholte und seit Mai im Hafen von Mukran liegt, wo sich der Lagerplatz für die noch zu verlegenden Rohre befindet. Das Schiff ist grundsätzlich geeignet, die Verlegearbeiten durchzuführen. Allerdings muss es für die erforderlichen Schweißarbeiten technisch nachgerüstet und dann zusätzlich versichert werden. Derweil hat die Projektgesellschaft Nord Stream 2 nie offiziell bestätigt, dass geplant ist, mit der „Akademik Cherskiy“ die noch fehlenden rund 150 Kilometer Pipelines zu verlegen. In den USA verfolgte man den Vorgang aber genau.
Mit der Erweiterung des PEESCA sollen die Sanktionen jetzt deutlich ausgeweitet werden. Nun sollen auch Personen oder Unternehmen mit Sanktionen belegt werden, die im weitesten Sinne die Verlegearbeiten unterstützen. In dem Text von PEESCA 2020 sind Arbeiten wie die Vorbereitung des Bodens, die Überwachung oder das Beseitigen von Steinen genannt. Zudem wird mit Sanktionen bedroht, wer Verlegeschiffe versichert oder nachrüstet. Ferner müssen Unternehmen, die vorbereitende Maßnahmen für den Betrieb, wie Tests oder Zertifizierungen vornehmen, mit Sanktionen in den USA rechnen. Und: Die neuen Sanktionen sollen rückwirkend von dem Tag an gelten, an dem PEESCA in Kraft trat. Nach einer Zählung der Brancheninitiative Zukunft Erdgas könnten dann 120 europäische Unternehmen davon betroffen sein.
In der deutschen Politik ist die Aufregung groß. Der Wirtschaftsausschuss des Bundestags hatte jüngst eine Anhörung unter dem Titel „Sicherung der Souveränität deutscher und europäischer energiepolitischer Entscheidungen“ organisiert. Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sprach in dabei seinen einleitenden Worten von einem „schweren Eingriff in die Souveränität der EU“ durch die Sanktionen. Es sei absurd, dass der US-Kongress als Regulator europäischer Fragen auftritt. Thomas Bareiß, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, malte ein mögliches Ende des Projektes an die Wand: „Die Sanktionen könnten die Inbetriebnahme auf Dauer verhindern.“ Dies sei ein einmaliges Vorgehen in der transatlantischen Partnerschaft. Aber keiner der geladenen Experten konnte einen Weg aufzeigen, wie diese Sanktionen kurzfristig wirksam verhindert werden könnten oder die Unternehmen gegen die Wirkungen abzuschirmen seien.
Es blieb der konkrete Appell an die Parlamentarier, das Gespräch mit den US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen zu suchen, um die weitreichenden Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis deutlich zu machen. Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, unterstrich, die diplomatischen Mittel seien noch nicht ausgeschöpft. „Ich plädiere sehr dafür, dass sich der Bundestag vor allem an die Kolleginnen und Kollegen im Repräsentantenhaus wendet“, so Harms wörtlich. Auch die EU-Botschaft in den USA müsse aktiver werden.
Gegensanktionen befürwortete allein der frühere Bundeskanzler und heutige Verwaltungsratsvorsitzende von Nord Stream 2 Gerhard Schröder, der als Experte geladen war. Auf die Frage, was geeignete Gegensanktionen wären, gab aber auch er keine konkrete Antwort. Die anderen Experten warnten dagegen vor einer Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen.
Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht in dem Streit um „Nord Stream 2“ indes ein grundsätzliches Problem. Europa befinde sich als Figur auf einem Schachbrett in der Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Diese Auseinandersetzung sei auch kein Trump-spezifisches Thema, betonte sie. Deshalb gehe es auch darum, wie man die europäische Wirtschaft in dieser Konstellation wettbewerbsfähig halten kann. Konkret zu „Nord Stream 2“ sagte Westphal, dass die Pipeline für Europa als eine von vielen Optionen wichtig sei. Denn Energiesouveränität, immerhin das Kernthema der Anhörung, „bedeutet, dass wir viele Optionen haben“. EID/ger