„Weltweite Standards für Haftung von Lotsen nötig“

Die deutschen See- und Hafenlotsen sind zivilrechtlich einer problematischen Haftungssituation ausgesetzt. Ein Experte sieht sieht eine besorgniserregende Entwicklung in Deutschland.

Das sagte Dr. Detlef Zschoche, Rechtsanwalt/Consultant der Kanzlei Ince & Co (Hamburg), kürzlich in seinem Vortrag vor den Mitgliedern des Nautischen Vereins Brunsbüttel auf Einladung des Vorsitzenden Bernd Appel über die Haftung des Lotsen im nationalen und internationalen Vergleich. Gemäß § 21 Abs. 3 SeeLG haften die Lotsen gegenüber dem Reeder für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Gegenüber dritten Anspruchsstellern haften sie auch für einfache Fahrlässigkeit. Diese Haftungssituation ist ungleich schärfer als in allen anderen wichtigen schifffahrtstreibenden Ländern. Zschoche zeigt auf, dass in den vergangenen Jahren in Deutschland eine besorgniserregende Entwicklung zu verzeichnen ist.

Seit Inkrafttreten des Seelotsgesetzes 1954 sind bis zum Jahr 2000 keine Haftbarhaltungen deutscher Seelotsen bekannt geworden. Es gab einen Ehrenkodex, dass Reeder und Versicherer die an Bord tätigen Lotsen und Kapitäne bei Schiffshavarien nicht in Regress nahmen. Im Jahr 2000 ist in Deutschland die erste Haftbarhaltung eines Lotsen erfolgt (MS „Kythnos“). In den folgenden Jahren gab es vereinzelt weitere Haftbarhaltungen. Ab 2011 ist eine zunehmende Tendenz von Haftbarhaltungen festzustellen. In den Jahren 2013 und 2015 waren jeweils fünf zivilrechtliche Haftbarhaltungen zu verzeichnen. 2016 sind es per dato bereits sieben Haftbarhaltungen. Die Forderungen liegen überwiegend im sechsstelligen Bereich. In einer Reihe von Fällen werden jedoch Forderungen in Millionenhöhe eingeklagt. Die größte Haftungsforderung beläuft sich auf 110 Millionen Euro.

Der früher geltende Ehrenkodex, Lotsen und Kapitäne für ihre – oft unter schwierigsten Verhältnissen getroffenen – Entscheidungen nicht haftbar zu halten, hat in Deutschland seine Gültigkeit verloren. Dies ist nach Auffassung von Zschoche maßgeblich auf die besondere Haftungssituation in Deutschland zurückzuführen. Von dem Referenten wurde hierzu ein umfassender Vergleich der Haftungsregelungen im Ausland dargestellt. Für die Lotsen verschiedener Länder ist die zivilrechtliche Haftung gesetzlich ausgeschlossen (Queensland, Victoria und Ägypten). Im Ergebnis gilt dies auch für die Niederlande und Finnland sowie den Bundesstaat Western Australia. In Frankreich und Belgien haften die Lotsen für Beträge zwischen 3000 Euro und 10.000 Euro (Frankreich) beziehungsweise 25.000 Euro (Belgien). Im angloamerikanischen Rechtsbereich wird die Haftung der Lotsen auf niedrige Pauschalsummen begrenzt. Ein Seelotse in Großbritannien haftet bis zu 1000 Britische Pfund zuzüglich der Lotsgebühren. In den USA und Kanada sowie Hongkong liegen die Höchsthaftungsbeträge zwischen 1000 und 5000 US-Dollar/CAD/HKD. In diesen Ländern sind Haftbarhaltungen von Lotsen nicht festzustellen. Die niedrigen Haftungsbeträge machen eine kostenverursachende Rechtsverfolgung gegenstandslos.

Hohes Risiko

Die deutschen See- und Hafenlotsen wie auch die Binnenlotsen tragen demgegenüber ein unvergleichbar hohes Risiko. Die zunehmenden Haftbarhaltungen durch Regressforderungen Dritter setzen die Lotsen existenzgefährdenden Risiken aus. Die zivilrechtlichen Verfahren sind langwierig und können sich über mehrere In stanzen hinziehen. Die seit dem Jahr 2011 zu verzeichnenden Haftbarhaltungen in Höhe siebenstelliger Beträge sind ganz überwiegend noch nicht entschieden. Von insgesamt sechs Fällen dieser Größenordnung sind noch fünf bei den Gerichten anhängig beziehungsweise in Vorbereitung.

Diese Belastung der deutschen Lotsen sei im internationalen Vergleich einmalig und unverhältnismäßig hoch. Sie erfordere dringend eine gesetzgeberische Neuregelung. Hierbei gehe es zum einen um die Existenzsicherung der See- und Hafenlotsen. Zum anderen gehe es um die Sicherheit des Seeverkehrs. Lotsen, die in der Sorge an Bord gehen, bei einer sich fehlerhaft erweisenden Entscheidung die Existenz ihrer Familie zu verlieren, werden im Zweifel nicht die Nerven besitzen, die für Augenblicksentscheidungen auf schwierigen Schiffen unter widrigen Wetterverhältnissen vonnöten sind.

Nach Auffassung des Nautischen Vereins Brunsbüttel sollte die Haftungsregelung in Deutschland der Praxis in den Niederlanden und Finnland angeglichen werden. Dort haftet der Seelotse nur für Vorsatz und vorsatzgleiches Handeln (Leichtfertigkeit). FBi

Teilen
Drucken

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben