Auch nach 100 Jahren ungeklärt

Die Erinnerung an den Untergang ist in England noch lebendig, Foto: Buch „The Lusitania‘s Last Voyage“
Sie war nicht weniger prunkvoll, aber deutlich schneller als die "Titanic"; kein Wunder, dass ganz Großbritannien stolz auf die "Lusitania" war. Der Atlantikkreuzer war der König der Wellen, von der Jungfernfahrt 1907 - bis zur Versenkung durch ein deutsches U-Boot.
Die Torpedierung der "Lusitania" vor 100 Jahren war ein militärisches Husarenstück, eine politische Krise, vor allem aber eine menschliche Tragödie. Noch nach hundert Jahren wird gestritten, ob es ein Kriegsverbrechen war. Denn das stolze Schiff nahm gleich tonnenweise dunkle Geheimnisse mit in die Tiefe.
Großbritannien war im Krieg, Deutschland auch - die USA aber nicht. Dennoch warnte die deutsche Botschaft in Zeitungsanzeigen in New York davor, den Luxusliner zur Überfahrt nach England zu nutzen. Denn alle Schiffe unter britischer Flagge "könnten der Zerstörung in den feindlichen Gewässern anheimfallen". Das war im April 1915.
Im Mai 1915 befand sich die schnelle "Lusitania" schon in irischen Gewässern, nur ein paar Stunden vom Ziel Liverpool entfernt. Doch der Riese kreuzte den Weg des Zwergs U-20. Kapitänleutnant Walther Schwieger gab in dem U-Boot den Feuerbefehl und ein einzelner Torpedo traf den Liner mittschiffs. Unmittelbar danach ereignete sich eine zweite, schwerere Explosion, das gewaltige Schiff hatte keine Chance. Nur vier der 48 Rettungsboote konnten zu Wasser gelassen werden, nach
20 Minuten war die "Lusitania" gesunken - und mit ihr 1191 Menschen, die ertranken, erfroren oder von den Explosionen getötet wurden.
Kriegseintritt
128 von ihnen waren Amerikaner - was fast zum Kriegseintritt der USA führte. Auf allen diplomatischen Kanälen versuchte das Deutsche Reich, den mächtigen Staat aus dem Krieg zu halten. Mit Erfolg - zumindest für zwei Jahre. Da erklärten die USA doch den Krieg, weil Deutschland den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufgenommen hatte.
"Es ist schwer zu sagen, ob es ein Kriegsverbrechen war", sagt Peter Kelly. Der Ire wohnt an der Küste, an der das Schiff sank. Jahrzehnte hat er sich mit der Tragödie befasst. "Sie hatte ganz klar Munition an Bord, Granaten und 3,8 Millionen Gewehrpatronen. Allerdings: Das war damals ganz legal." Schwieger könnte das Schiff verwechselt haben, zumal es nur drei Schornsteine unter Dampf hatte und so wie ein kleineres Schiff wirken konnte, glaubt Kelly.
Mike Poirier lässt den U-Boot-Mann, der 1917 mit einem anderen Boot unterging, nicht so leicht vom Haken. "Er wusste genau, was er da vor seinem Torpedorohr hatte", sagt der Historiker. "Die Deutschen hatten sogar damit angegeben, dass sie die 'Lusitania' kriegen würden." Das gewaltige Schiff war als Truppentransporter eine Gefahr. Und es hatte den Deutschen das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung abgenommen. "Es ging also auch um die Ehre."
Provokation?
Provozierte die Admiralität in London gar das Drama, um die USA in den Krieg zu ziehen? "Das wäre idiotisch gewesen", sagt Kelly. "Dann hätten die Amerikaner sofort einen Exportstopp für Waffen und Munition verhängt, weil sie alles selbst brauchten. Die Briten hätten dann auf dem Trockenen gesessen." Ungelegen kam alles freilich nicht. Und warum wurde das Wrack nach dem Krieg mit Wasserbomben zerstört?
Gesehen hat die "Lusitania" niemand weniger als Robert Ballard. Der "Titanic"-Entdecker hat das Schiff untersucht und es lässt ihn nicht los. "Als ich runtertauchte, sah ich überall Stiefel liegen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Immer zwei Stiefel nebeneinander. Das sind die letzten Reste der Menschen. Die Körper sanken zu Boden, zerfielen, nur die Schuhe blieben übrig. Manchmal zwei große neben zwei kleinen, weil eine Mutter versucht hatte, ihr Kind zu schützen. Und das ist die Botschaft der 'Lusitania': dass so etwas nie wieder passieren darf." dpa/pk