Bewegung am Seegerichtshof
Schiffe und Besatzungen werden festgenommen, Fischer wildern in fremden Gewässern, ein leckgeschlagener Tanker verursacht eine riesige Ölverschmutzung - und es gibt Streit über die Grenzverläufe im Meer. Theoretisch gibt es jede Menge Gründe für ein Gericht, Seestreitigkeiten zu verhandeln. Das Potenzial ist riesig, sagt Julia Ritter. Die 34-Jährige ist Sprecherin des Internationalen Seegerichtshofs (ITLOS) in Hamburg und muss immer wieder erklären, warum das Tribunal seit der Gründung 1996 erst 13 Fälle verhandelt hat. Derzeit füllen 33 Nachwuchsjuristen aus 28 Ländern das riesige Gebäude mit Leben. Bei der ersten Sommerakademie vertiefen sie einen Monat lang ihr Wissen im Seerecht. Zugleich sollen sie in ihren Ländern die Akzeptanz und Bekanntheit des Seegerichtshofs verbessern. Der Zufall will es, dass die jungen Leute das seltene Erlebnis einer Urteilsverkündung am weltweit höchsten Tribunal für Seerecht mitbekommen werden. Am 6. August wird von den 21 Richtern aus Afrika (5), Asien (5), Lateinamerika (4) und Europa (7) zum ersten Mal seit 2004 wieder Recht gesprochen - und zwar gleich doppelt. Im 14. und 15. Fall geht es um zwei Anträge Japans. Das Land fordert von Russland die Freigabe von zwei Fischkuttern und die Freilassung einer 17-köpfigen Besatzung. Diese wird seit Juni in Petropawlowsk-Kamtschatski im äußersten Osten Russlands festgehalten. Den Japanern werden Verstöße gegen russische Fischereigesetze vorgeworfen. Das Hamburger Tribunal ist einer von nur drei Gerichtshöfen mit globaler Zuständigkeit, der Jahresetat beträgt 8,5 Millionen Euro. Grundlage zur Gründung war das UN-Seerechtsübereinkommen UNCLOS (United Nations Convention on the Law of the Sea) von 1982, das 155 Staaten ratifiziert haben. 63 Millionen Euro hat das Prestigeobjekt mit einer Nutzfläche von 5200 Quadratmetern gekostet, Kritiker stellen die Sinnhaftigkeit infrage. Der Spiegel schrieb: Den Richtern des Seegerichtshofs fehlt es an nichts, außer an Fällen. Auf Barbados kennt eigentlich niemand den Seegerichtshof, sagt Sommerakademie-Teilnehmer Francois Jackman. Der 38-Jährige leitet die Abteilung für Seegrenzen im Außenministerium des Karibikstaates. Ich will hier meine Kenntnisse verbessern, als Insel sind für uns maritime Fragen bedeutsam, viele Familien leben vom Fischfang. Auch Annette Froehlich hofft, dass das einzige deutsche UN-Tribunal bekannter wird. Fast keiner ihrer Studenten kenne den Gerichtshof, sagt die 36-Jährige, die in Köln Europa- und Völkerrecht lehrt. Klare Seerechts-Regelungen sind für uns sehr wichtig, da wir mit sechs Nachbarn Seegrenzen haben, erklärt Finau Heuifanga Limuloa von der Südpazifikinsel Tonga. Die 30-Jährige arbeitet im tonganischen Außenministerium. Sie hält das Tribunal als Konfliktlösungsinstanz gerade für Dritte Welt-Staaten und kleine Länder für bedeutend. Die Faktenlage gibt ihr recht: Bisher häufigster Kläger war mit drei eingereichten Klageschriften St. Vincent und die Grenadinen. Durch die Akademie und mit neuen Fällen hoffen die Seerechtler auf einen Bedeutungszuwachs der Hamburger UN-Institution. Der verflixte 13. Fall hat unsere Serie etwas unterbrochen, sagt Manfred Trantofsky. Er ist Vorstandsmitglied der Internationalen Stiftung für Seerecht (IFLOS), die zusammen mit dem Seegerichtshof die Sommerakademie organisiert. Aber die pure Existenz des Tribunals wirkt schon streitschlichtend, weil keine Partei die Öffentlichkeit wünscht und deshalb den Gang nach Hamburg möglichst vermeiden will, sagt Trantofsky. Julia Ritter schätzt, das durch diese Tatsache 15 weitere Fälle außergerichtlich auf diplomatischem Wege gelöst wurden. Das Seeerecht ist mit der starken Zunahme des weltweiten Schiffsverkehrs stark im Kommen, meint auch die Vorsitzende der IFLOS, Doris König. Mittelfristig soll deshalb eine Seerechtsakademie aufgebaut und Hamburg als Seerechtszentrum gestärkt werden, erklärt die 50-jährige Jura-Professorin der Bucerius Law School. Wenn die Nachwuchsjuristen ihren Kurs beenden, wird es wieder ruhig in den großen Hallen des weißen, lichtdurchfluteten Justizpalastes. Gibt es keine Fälle, kommen die 20 Richter nur zwei Mal jährlich zu Arbeitssitzungen nach Hamburg. Sonst residiert Präsident Rüdiger Wolfrum mit 35 Mitarbeitern aus 19 Ländern allein an der Elbe. Unser Ziel für die Zukunft sind drei bis vier Fälle pro Jahr, sagt Julia Ritter.