Hamburger Piraterie-Prozess beginnt
Ab heute wird erstmals seit Jahrhunderten wieder Piraten in Deutschland der Prozess gemacht.
Nach dem Überfall auf den Hamburger Frachter „Taipan" (BRZ 10.965) am Ostermontag müssen sich zehn Angeklagte aus Somalia vor dem Hamburger Landgericht wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubs verantworten. Die schwer bewaffneten Männer sollen das 140,55 Meter lange und 23,08 Meter breite Containerschiff des Komrowski Befrachtungskontors rund 530 Seemeilen vor der Küste Somalias geentert und knapp vier Stunden in ihrer Gewalt gehabt haben. Ein niederländisches Marinekommando der Fregatte „Tromp" hatte sie dann überwältigt und festgenommen. Die 13 Besatzungsmitglieder der „Taipan" konnten sich während der Attacke in einem Sicherheitsraum an Bord verschanzen. Zuvor hatten die Crew und der deutsche Kapitän das 2007 gebaute Schiff noch mit einem „totalen Blackout" manövrierunfähig machen können (THB 14. Juni 2010).
„Wir finden den Sachverhalt überschaubar und gut eingrenzbar", sagt Wilhelm Möllers von der Hamburger Staatsanwaltschaft. Die Anklageschrift etwa umfasst lediglich 33 Seiten, und die Behörde hat reichlich Beweismittel in ihrem Besitz – zum Beispiel Kalaschnikows, Granatwerfer, Pistolen, Messer und Enterleitern. Dennoch wird ein zähes Verfahren erwartet. Das Gericht hat jedem Angeklagten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet, insgesamt 20 Verteidiger kümmern sich damit um die Rechte der Somalier.
Der Hintergrund: Das Gericht will vermeiden, dass der aufwendige Prozess platzt – etwa wenn einer der Verteidiger krank wird. Weil keiner der zehn mutmaßlichen Piraten Deutsch spricht, müssen Dolmetscher im Gerichtssaal alles übersetzen. Und selbst Namen und Alter der Angeklagten stehen nur vage fest.
Da heißt es dann etwa: „Geboren vor 1989" oder „1993 oder zuvor". Der Älteste soll nach bisherigen Erkenntnissen im Jahr 1962 geboren sein, der Jüngste 1993. Verhandelt wird vor der Kammer für Verkehrsstraftaten – also dort, wo es üblicherweise um Temposünder oder Trunkenheitsfahrten geht. Sie fungiert auch als Jugendkammer. Bei einer Verurteilung drohen den Erwachsenen Höchststrafen von 15 Jahren, dem Jugendlichen von 10 Jahren.
Die Somalier waren im Juni nach wochenlangem Tauziehen von den Niederlanden an die Bundesrepublik ausgeliefert und nach Hamburg in Untersuchungshaft gebracht worden. Somalia hat nach fast 20-jährigem Bürgerkrieg keine Möglichkeit, Piraten den Prozess zu machen. Und das Nachbarland Kenia hat vor kurzem ein mit der EU und anderen Staaten geschlossenes Justizabkommen beendet; es führt damit keine Prozesse mehr gegen Piraten, die von Schiffen der EU-Antipiratenmission „Atalanta" festgenommen werden.
Wann das Hamburger Gericht die Urteile verkündet, ist völlig offen. Verhandlungstage sind zunächst bis Ende März angesetzt. Ganz anders ging es früher bei den Piraten-Verfahren in der Hansestadt zu: Mit den Seeräubern wurde meist kurzer Prozess gemacht. Zur Bestrafung von Piraten schrieb das damalige Recht vor, ihnen den Kopf abzuhacken und auf einen Stock zu nageln, wie Ralf Wiechmann vom Museum für Hamburgische Geschichte berichtet.
Hamburg hatte bereits seit 1359 das sogenannte Seeräuberprivileg zugestanden bekommen – also das Recht vom Kaiser, „ohne Rücksicht auf landesherrliche Gerichtsrechte" selbst Piraten zu jagen und zu verurteilen. Erst von etwa 1600 an wurden in der Hansestadt immer weniger Piraten-Prozesse geführt. Von 1390 bis 1600 wurden nach Wiechmanns Recherchen mindestens 428 Seeräuber enthauptet.
Für die heutigen Vorfälle wird bereits seit einiger Zeit die Einrichtung eines speziellen Sondergerichtshofs für Piraterie diskutiert. Prozesse gegen Seeräuber sollten nach Ansicht des Hamburger Völkerrechtlers Prof. Andreas von Arnauld künftig in der Nähe der Seeräubergebiete geführt werden.
Allerdings sollte ein solches Gericht je zur Hälfte aus lokalen und internationalen Richtern bestehen, sagte von Arnauld der Nachrichtenagentur dpa. „Es könnte auf Grundlage einer Resolution des UN-Sicherheitsrates eingesetzt werden." „Es würde zum einen die Beweisführung erleichtern, weil man nicht Zeugen quer durch die Welt fliegen muss", erklärte der 40-Jährige, der an der Helmut-Schmidt-Universität lehrt. „Und es würde die Verteidigungsrechte der Angeklagten erleichtern, weil sie in der Nähe ihrer Heimat bleiben und nicht in einem weit entfernten Winkel der Erde verurteilt werden." Eine internationale Besetzung des Gerichts könnte dafür sorgen, dass faire Verfahren und Standards bei Menschenrechten eingehalten werden.
Werde Piraten in der Nähe der betroffenen Regionen der Prozess gemacht, fände dieser vor Ort auch mehr Aufmerksamkeit, ist der Wissenschaftler überzeugt. „Ich habe Zweifel, dass solche Verfahren in Afrika großartig verfolgt werden, wenn sie fernab von dort durchgeführt werden. Dort hat man andere Probleme."
Nur mit Strafverfolgung sei es aber nicht getan, betonte von Arnauld. „Eine zeitlich befristete Freiheitsstrafe schreckt einen Menschen, der in bitterer Armut an der somalischen Küste lebt und keinerlei Berufsperspektive hat, im Zweifel wohl wenig." Zur Bekämpfung der Piraterie müsse man daher gegen die wirtschaftliche Not im bürgerkriegsgeplagten Somalia vorgehen – und den Menschen Perspektiven eröffnen. „Das sind Fischer, die teilweise keine Berufsperspektive mehr haben, weil die internationalen Trawler die Gewässer leergefischt haben." Oder dort Giftmüll verklappen.
Der Völkerrechtler bezeichnete die Piraterie als organisierte Kriminalität und
einträglichen Zweig der Wirtschaftskriminalität. Allerdings werde man das riesige Seegebiet vor Somalia nie vernünftig überwachen können.
Dass den zehn mutmaßlichen "Taipan"-Piraten aus Somalia nun ausgerechnet in Hamburg der Prozess gemacht wird, liegt an Paragraf 10 der Strafprozessordnung. Darin wird der Gerichtsstand – also der Ort des zuständigen Gerichts – für Straftaten auf Schiffen oder in Flugzeugen geregelt. Für Straftaten auf See ist demnach das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Heimathafen des – unter deutscher Flagge fahrenden – Schiffes befindet.
Wörtlich heißt es in Paragraf 10: „Ist die Straftat auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen oder der Hafen im Geltungsbereich dieses Gesetzes liegt, den das Schiff nach der Tat zuerst erreicht."
Die „Taipan" der Hamburger Reederei Komrowski war unter deutscher Flagge unterwegs und hat ihren Heimathafen in der Hansestadt. Außerdem waren zwei Besatzungsmitglieder Deutsche.