Kleine Kamera auf großer Nordsee-Reise
Rund zwei Monate lang ist eine kleine Kamera durch die Nordsee getrieben. Dann wurde sie auf der nordfriesischen Hallig Süderoog an Land gespült, nahezu unversehrt und voll funktionstüchtig.
Der Vater von Halligbewohner Holger Spreer hatte die Kamera in ihrem wasserdichten Gehäuse bereits am 2. November auf Süderoog gefunden, berichtete jetzt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Die letzten Aufnahmen stammten demnach vom 1. September. Die Video bilder zeigen einen zehn- bis zwölfjährigen Jungen am Strand. Er stellt die Kamera auf einen Stein, vergisst sie im Spiel – und eine kleine Welle schubst sie schließlich ins Meer.
Spreer und Lebensgefährtin Nele Wree wollten den Jungen ausfingen machen, um ihm die Kamera zurückzugeben. Dazu stellten sie einen Auszug des Videos auf ihre Facebook-Seite. Dort wiederum sah es Christian Koprek. Der 2. Vormann der Seenotretter in List auf Sylt nahm Kontakt zur Royal National Lifeboat Institution (RNLI) auf. Seenotretterin Mary Harris gab den ersten entscheidenden Hinweis: Sie vermutete, dass der Junge die Kamera in der Thornwick Bay nahe Flamborough Cliffs in East Yorkshire an der nordenglischen Ostküste verloren hat. Fotovergleiche des dortigen Strandes mit dem Videomaterial der Kamera stützen die Theorie. Gewissheit brachte dann eine Berechnung der Seenotleitung Bremen der DGzRS. Mit einem speziellen Computerprogramm zur Suchgebietsplanung im Falle über Bord gegangener Schiffbrüchiger rechneten die Seenotretter von Süderoog aus zwei Monate zurück, und zwar anhand der Drift- und Strömungsverhältnisse der Nordsee. Das Ergebnis: ein Strand nur etwa 35 Kilometer südlich der Thornwick Bay. „Da das Programm Gewicht und Seegangsverhalten eines durchschnittlichen erwachsenen Menschen und nicht einer leichten und kleinen Kamera zugrunde legt, dürfte die Vermutung unserer RNLI-Kollegin stimmen“, ist Koprek überzeugt.
Die Computertechnik der Seenotretter offenbarte zudem die Route, die die Kamera zurückgelegt hat: zunächst südöstlich Richtung Englischer Kanal, dann in einer langen Kurve Richtung Nordosten bis auf die Höhe von Esbjerg in Dänemark, und schließlich wieder nach Süden bis Süderoog – insgesamt wohl eine Strecke von 800 bis 900 Kilometern.
Im Internet hat sich das Video inzwischen weit verbreitet. Englische Lokalmedien sind bereits auf die ungewöhnliche Kamera-Odyssee aufmerksam geworden und berichten. Und nun hoffen auch die Seenotretter der DGzRS und der RNLI, dass die Kamera in gemeinsamer Anstrengung zu ihrem Besitzer zurückfindet. ger