Das Schwefel-Limit treibt viele Blüten


Das Bebunkern ist ein wesentlicher Kostenfaktor: „Grüne“ Betriebsstoffe sind teuer (Fotos: Arndt, Schwandt)
Vor knapp zwei Jahren trat die 0,1-Prozent-Begrenzung für den Schwefelanteil im Schiffstreibstoff in Kraft. Seitdem ist die Diskussion um die IMO-Vorschrift abgeebbt. Indes experimentieren die Reedereien weiterhin unkoordiniert mit verschiedenen alternativen Antriebstechniken.
Die Nord- und die Ostsee gehören zu den ökologisch sensibelsten Seegebieten in Europa. Daher wurde dieser Verkehrsraum bereits vor Jahren von der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO als sogenannte Schwefel-Emissions-Kon troll zone (Sulphur Emission Control Area, SECA) deklariert. Seit Anfang 2015 ist in dem Gebiet für Seeschiffe ein maximaler Anteil von 0,1 Prozent Schwefel im Treibstoff vorgeschrieben. Bemerkenswert ist, dass die IMO das verschärfte Limit zunächst auf die Nord- und Ostsee beschränkt hat. In anderen europäischen Gewässern wie der Irischen See und dem Mittelmeer sind weiterhin 3,5 Prozent Schwefelanteil erlaubt, wie auf allen Weltmeeren, mit Ausnahme der nordamerikanischen Küstenregionen.
Das führte seinerzeit zu heftigen Debatten in der Schifffahrt. Die Reeder sahen dar in nicht nur eine Wettbewerbsverzerrung, sondern befürchteten eine Explosion der Treibstoffkosten beim Umstieg auf schwefelärmeren, aber teureren Marinediesel. Hanns Heinrich Conzen, Geschäftsführer der Fährreederei TT-Line, rechnete mit einer Verdoppelung der Kosten. Die Frachtraten würden um 20 bis 40 Prozent ansteigen. Was zur Folge hätte, dass es überall dort zu Fracht-Rückverlagerungen von der Fähre auf Landverbindungen käme, wo dies geografisch möglich sei. Diese Ansicht wurde gestützt durch eine damalige Studie des Bremer Instituts für Seeverkehr und Logistik (ISL) zu den Konsequenzen eines verschärften Schwefel-Limits für die Branche. Die Wissenschaftler erwarteten vor allem „empfindliche Verluste für die Fährschifffahrt“. Da sich die Fracht bereits auf Lkw befindet, hätten Güterströme problemlos auf die Straße verlagert werden können. Fähren auf Routen nach Finnland würden bis zu 27 Prozent des Verkehrsaufkommens verlieren, die Liniendienste ins Baltikum gar 46 Prozent.
Ende 2016 zeichnet sich ein komplett anderes Bild ab. Das Negativ-Szenario ist ausgeblieben. Fast parallel zum Inkrafttreten des Schwefel-Limits stürzte der Weltmarktpreis für Rohöl von mehr als 100 Dollar pro Barrel extrem ab. Zeitweise notierte er sogar unter 30 Dollar. Im Zuge dieses Preisverfalls verbilligte sich Marinediesel so sehr, dass der kalkulierte und befürchtete Kostenanstieg für Treibstoff verpuffte, wie es ein Branchenvertreter beschrieb. Nichtsdestotrotz verfehlte die drastische Absenkung des Schwefelanteils im Schiffstreibstoff nicht die beabsichtigte ökologische Wirkung. So ergab eine im Frühjahr 2016 vorgestellte Studie, die Wissenschaftler des niederländischen Forschungsinstituts CE Delft im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) erstellt hatten, dass nach nur knapp einem Jahr „die Luftschadstoffbelastung in Nord- und Ostsee erheblich zurückgegangen ist“. In einigen Ländern wurde ein Rückgang von Schwefeldioxid (SO2) von 50 Prozent und darüber hin aus gemessen, so die Autoren. Auch hätten sich die Bedenken der Reeder nicht bestätigt, sowohl was die Kostensteigerungen als auch was die Verlagerung von Verkehren auf die Straße betrifft.
Verfall der Ölpreise nicht berücksichtigt
Da niemand in der Schifffahrt die unverhoffte Ölpreis-Begünstigung auf dem Zettel haben konnte, hatten sich die Reedereien spät, aber immer noch beizeiten auf die Suche nach Alternativen für den Schiffsantrieb gemacht. Die auf den Schweden-Verkehr spezialisierte TT-Line beispielsweise setzte von Anfang auf die Scrubber-Technik, mit der Schwefel aus den Abgasen ausgewaschen wird. Laut TT-Line-Geschäftsführer Bernhard J. Termühlen habe sich diese Variante bewährt. Zwei Fährschiffe sind bisher damit ausgerüstet worden. Über ein drittes sei noch nicht entschieden. „Der Einbau von millionenteuren Aggregaten in Schiffe aus der Bestandsflotte ist immer an die Frage gekoppelt, ob es sich noch rechnet“, erläutert Termüh len. Einen anderen Weg schlug Stena Line ein. Die Reederei stellte ihr Fährschiff „Stena Germanica“, das auf der Route zwischen Kiel und Göteborg (Schweden) verkehrt, zu Jahresbeginn 2015 auf Methanol-Betrieb um. Der Treibstoff ist mit Marinediesel konkurrenzfähig und reduziert den Schwefelausstoß um 99 Prozent gegenüber dem früher verwendeten Schweröl. Nach mehr als einem Jahr Einsatz der weltweit ersten mit Methanol angetriebenen Fähre zeigte sich Stena-Manager Ron Gerlach „mit der Bilanz zufrieden“. Derzeit sei jedoch die Umrüstung eines zweiten Schiffes auf Methanol nicht spruchreif. „Dies hängt sehr vom Alter der Schiffe und dem Schiffstyp ab.“ Außer Methanol schließt die schwedische Reederei auch Scrubber und die Verwendung von Flüssiggas (LNG) für ihre Schiffe nicht aus. Eine Entscheidung, die sich Stena auch bei Neubauten nicht einfach macht. So informierte Gerlach, dass die auf einer asiatischen Werft georderten vier Neubauten sowohl mit Methanol als auch mit LNG fahren können. Gegenwärtig geht im Nord- und Ostseeraum der Trend stark in Richtung Flüssiggas. Über die Hälfte der aktuell 40 für dieses Fahrgebiet bestimmten Schiffsneubauten sind für LNG konzipiert.
Wohin das Pendel bei den Antriebsalternativen auch ausschlagen mag, die in den SECA-Gebieten operierenden europäischen Reedereien sind dem Rest der weltweiten Schifffahrt einen entscheidenden Schritt beim Umweltschutz voraus. SCHWA/pk