Mit der Harke auf Geisternetz-Fang

An Bord des Kutters "Einheit" hievt Fischer Karl-Heinz Neumann eine Winde nach oben. Am Haken hat er weder Dorsch noch Hering, sondern ein verknotetes Bündel alter und mit Muscheln bewachsener Fischernetze.

Die Kunststoffnetze lagen vermutlich schon seit Jahren auf dem Meeresboden vor Sassnitz, wo sie sich an einem Tonnenstein verfangen hatten.

Mit den Netzen holt Neumann quasi die Hinterlassenschaften seiner eigenen Branche aus der Ostsee. "Das ist okay", sagt der Fischer dazu - zumal die Umweltschutzorganisation WWF den Einsatz finanziert. Zur Ehrenrettung seiner Berufskollegen ergänzt er: "Kein Fischer will sein Netz mit Absicht verlieren. Es schmeißt ja keiner Geld über Bord." Fischer Neumann hat ein Interesse, dass der "Dreck" aus der Ostsee kommt. Zum Dreck gehören für ihn auch Waschmaschinen, Munition und Farbeimer - alles Dinge, die er in den letzten Jahren schon in seinen Netzen hatte.

Laut WWF landen jährlich zwischen 5000 bis 10.000 Kunststoffnetze und Netzteile in der Ostsee. Das Problem sei damit kleiner als im Mittelmeer, aber dennoch nicht zu unterschätzen, sagt Einsatzleiter Philipp Kanstinger. Dass Netze absichtlich im Meer landen, unterstellt der WWF den Fischern nicht. Schleppnetze blieben an Widerständen wie Wracks oder Tonnensteinen hängen, erklärt Kanstinger. Stellnetze gingen im Sturm verloren oder würden von Booten mitgerissen.

Verband hat Zweifel

Der Verband der Kutter- und Küstenfischer bezweifelt die von den Umweltverbänden angegebenen Mengen. Durch das Aufsammeln vereinzelter Netze werde das Meer zudem nicht wesentlich reiner, sagt der Verbandsvorsitzender Günter Grothe.

In einem internationalen, rund 3,7 Millionen Euro teuren Projekt ermitteln Umweltschützer aus Deutschland, Schweden, Finnland, Estland und Polen mit Hilfe von Forschern und Fischern derzeit, wie solche Geisternetze am effektivsten aus dem Meer gefischt - oder von vornherein vermieden werden könnten. Projektpartner aus Schweden testen, Netze mit Signalgebern zu markieren, um sie bei Verlust schneller orten zu können. Zudem wird an Materialien geforscht, die im Wasser früher und umweltverträglicher als Kunststoff abgebaut werden.

Erstmals vor der deutschen Küste kam nun vor Rügen eine Harke zum Auflesen verlorener Netze zum Einsatz. "Der erste Test ist vielversprechend verlaufen", resümiert Kanstinger. Allein das Netzbündel, das Neumann aus dem Wasser zog, wiegt rund 1,5 Tonnen.

Gute Erfahrungen mit der Harke

"Unsere polnischen Kollegen haben mit der Netzharke gute Erfahrungen gemacht", sagt WWF-Experte Kanstinger. In Kooperation mit 40 Fischern holten sie demnach 2014 rund 270 Tonnen Netze aus der Ostsee. Zum Vergleich: Vor Rügen waren mit Hilfe von Tauchern ein Jahr zuvor lediglich zwei Tonnen Netze aus dem Wasser gezogen worden - die allerdings an wertvollen Wracks lagen.

Die Harke - ein etwa 20 Zentimeter langes Gerät mit Widerhaken - ist deutlich effektiver. Doch welche Schäden sie möglicherweise am Meeresboden verursacht, ist bislang unklar. Dies solle nun ermittelt werden, sagt Kanstinger.

Die Geisternetze stellen aus Sicht der Umweltschützer eine Gefahr für Meereslebewesen dar. In den ersten drei Monaten fingen sich darin im Mittel noch etwa 20 Prozent der Fische, die zuvor bei einem Fischzug damit gefangen wurden, heißt es. Danach sänken die Netze in sich zusammen und die Quote falle auf etwa sechs Prozent, verharre aber teilweise über Jahrhunderte bei diesem Wert. Solange brauchten die Netze zum Verrotten.

Schadstoffe gelangen in Nahrungskette

Zudem können Mikropartikel aus Plastik von Fischen gefressen werden. "Besonders problematisch ist, dass sich an der aufgerauten Oberfläche Schadstoffe anreichern, die über die Fische in die Nahrungskette bis zum Menschen gelangen können", erklärt Kanstinger. Schätzungen zufolge stammten zehn Prozent des Plastikmülls in den Meeren von der Fischerei. dpa

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